Interreg-Projekt bündelt Geld-Wissen

Nachhaltige Regionalentwicklung befasst sich mit Wertschöpfung und Lebensqualität in der Region. Welchen Beitrag dazu Regionalwährungen leisten und welches Potenzial in Komplementärwährungen steckt ist Inhalt des Interreg-Projektes „Gemeinsam grenzüberschreitend Geld & Gesellschaft gestalten“, das am 5. November 2019 im Stadtamt Wörgl vorgestellt wurde.

Träger des Projektes ist die Stadtgemeinde Wörgl, in der operativen Umsetzung arbeiten das Unterguggenberger Institut Wörgl und die Regios gemeinnützige Genossenschaft als Träger der Chiemgauer Regionalwährung unter der Projektleitung von Mag. Joanna Egger vom Verein Komm!unity zusammen. Zu den Zielen des Bildungsprojektes von September 2019 bis März 2020 zählt der Aufbau einer längerfristigen Partnerschaft, Erfahrungsaustausch, eine Bestandsaufnahme und Wissensvermittlung über Währungsdesign. Die Projektkosten in Höhe von 25.000 Euro werden zu 75 % von der EU aus dem laufenden Interreg-Programm getragen.

Die Idee der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit stieß in der Euregio Inntal auf großes Interesse. „Wörgler Freigeld und der Chiemgauer – beides ist ein Begriff, die Entscheidung zur Unterstützung des Projektes war im Regionalen Lenkungsausschuss einstimmig“, betont Euregio-Geschäftsstellenleiterin Mag. Esther Jennings und Euregio-Präsident Prof. KR Walter J. Mayr sieht die Bedeutung der Regionalwirtschaft zur Verhinderung von Kapitalabfluss.

Regionalwirtschaft und Soziales fördern

„Regionalwährungen stärken die Region als Kontrapunkt zur Globalisierung“, erklärt Stefan Schütz, 1. Vorsitzender des Chiemgauer-Vereines. Sie schaffen ein Sicherheitsnetzwerk für Krisenzeiten, verhindern Spekulation, sind mit einem Lerneffekt über die Funktionsweise von Geld verbunden und tragen zum sozialen Gewebe in der Region bei. So fließen beim Rücktausch des Chiemgauers in Euro 3 % als Fördergeld in gemeinnützige Vereine und Initiativen.

Geld gestalten

„Geld ist kein Naturgesetz. Wer Geld ausgibt, macht die Regeln. Das zeigte Wörgl während der Weltwirtschaftskrise 1932/33 mit dem Wörgler Freigeld. Der Gemeinderat beschloss trotz weltanschaulicher Gegensätze einstimmig die Regeln für die Ausgabe der Arbeitswertscheine und schuf damit demokratisch legitimiertes Bürgergeld, mit dem die Gemeinde Arbeitslose im Rahmen eines Infrastruktur-Bauprogrammes beschäftigte“, erklärt Veronika Spielbichler, Obfrau des Unterguggenberger Institutes und sieht Geld auch in einer Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels. Denn auch für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wird Infrastruktur benötigt. Wie das mit Bürgerbeteiligung ohne Kapitalmarkt gehen kann, zeigen die „Wörgler Sonnenscheine“, mit denen die Stadtwerke zur Nutzung erneuerbarer Solarenergie Photovoltaik-Anlagen errichten: Stromkunden bezahlen ihren Strom ohne Preissteigerung für 20 Jahre voraus, die Stadtwerke haben damit Bargeld ohne Zinsrisiko für die Investition.

Was bringt die Zukunft?

Beim Interreg-Projekt „Gemeinsam grenzüberschreitend Geld & Gesellschaft gestalten“ geht es aber nicht nur um Vergangenheit und Gegenwart der Komplementärwährungen, sondern auch um Geld- und Währungsdesign in der Zukunft. Und hier erwartet uns eine Vielfalt, davon ist Heinz J. Hafner, IT-Experte und Vorstandsmitglied im Unterguggenberger Institut überzeugt, der sich seit Jahren mit Währungsdesign befasst: „Neue digitale Technologie ermöglicht dezentrale Vernetzung in der Region ohne großen Aufwand. Blockchain und Kryptowährungen bieten neue Gestaltungsmöglichkeiten, auch für soziale Projekte.“ Wie das heute schon in Asien gelebt wird, erfuhr Hafner im September in Japan als Vertreter des Unterguggenberger Institutes auf der wissenschaftlichen Tagung 5th Biennial RAMICS International Congress „Going Digital? New Possibilities of Digital-Community Currency Systems“, zu der auch der Chiemgauer geladen war: „In Japan existieren bereits über 100 aktive Währungssysteme. Viele Projekte sind von Hochschulen getragen und der Trend geht zu digitalem Geld.“

Regionalwährungen in Europa

Die wachsende Bedeutung von Regionalwährungen in Europa registrieren auch die Chiemgauer, die mit vielen Intiativen im Austausch stehen und Anfragen erhalten. Chiemgauer-Gründer Christian Gelleri gibt als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Uni Würzburg sein Wissen weiter.

„Regionalgeld ist ein Schritt vom ICH zum WIR“, weist Stefan Schütz auf die identitätsstiftende und soziale Komponente hin. Er steht in Kontakt mit Regionalwährungen in anderen europäischen Staaten wie dem höchst erfolgreichen Sardex auf Sardinien und nennt regionales, soziales Regiogeld in Spanien als Beispiel: „Mit EU-Förderung wurden in Barcelona drei Regionalwährungen für drei Stadtteile mit je 100.000 Einwohnern eingeführt.“

In Wörgl existiert mit dem Jugendprojekt I-Motion seit 2005 eine soziale Komplementärwährung mit dem Ziel, sinnvolle Freizeitgestaltung zu fördern. Das Gutschein-System nützt die Stunde als Währung. Bisher wurden über 20.000 Stunden von Jugendlichen geleistet, die dafür über 50.000 Euro Taschengeld erhielten. Zeit als Währung ist kaufkraftstabil – ein Vorteil, den Zeitbanken nützen, die sich vielerorts der Betreuung im Alter widmen.

Wissen bündeln und vermitteln

Den Projektpartnern des Interreg-Projektes geht es darum, Wissen über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Komplementärwährungen und Währungsdesign zu bündeln und zu vermitteln. Verbunden mit dem Wunsch, langfristig ein grenzüberschreitendes Kompetenzzentrum zu schaffen, damit „nicht jeder, der eine Regionalwährung starten will, das Rad neu erfinden muss.“ Ob dann am Ende eine neue Regionalwährung für die Euregio Inntal steht? Mit dieser Zielsetzung befasst sich das gestartete Interreg-Projekt derzeit nicht. Ob sie Resultat einer längerfristigen Zusammenarbeit sein kann, wird sich weisen.

Erfreut über das Interreg-Projekt ist Wörgls Kultur- und Bildungsreferentin Mag. Gabi Madersbacher, die sich beim Verein Shopping City Wörgl seit Jahren für regionalen Einkauf engagiert und um dessen Bedeutung für ein lebendiges Stadtzentrum weiß. 

Veranstaltungen 

Nach dem Start mit einem ersten Arbeitstreffen der Projektpartner im September und der Vorstellung der Chiemgauer Regionalwährung im Oktober 2019 in Wörgl folgen weitere Netzwerktreffen und öffentliche Veranstaltungen: Am 28. Jänner 2020 steht im Tagungshaus Wörgl ein Filmabend unter dem Motto Funktionsweise unseres Geldsystems. Gezeigt werden die beiden Dokumentarfilme „Welt ohne Geld“ über die Abschaffung des Bargeldes und „Die große Geldflut – wie Reiche immer reicher werden“.  Im Jänner oder Februar wird dann die Dokumentation „Der Geldmacher“, die anlässlich des TV-Spielfilmes „Das Wunder von Wörgl“ erstellt wurde, im Chiemgau gezeigt und darüber diskutiert.

Geld im Umbruch

Am 10. März 2020 bietet der internationale Geldexperte Leander Bindewald in seinem Vortrag mit Diskussion im Tagungshaus Wörgl „Geld im Umbruch – Wie Geld einmal funktioniert hat – und heute?“  einen Überblick über laufende Veränderungen, Weiterentwicklung und die Wahrnehmung des Geldes.  Er berichtet von seinen Erfahrungen u.a. als Leiter des EU-Projektes „Complementary Currencies In Action CCIA“ und  gibt einen Ausblick,  wo die Reise hingeht – von der Randerscheinung Komplementärwährung zum Mainstream Geldvielfalt und alternativer Zahlungsverkehr.