Mit Ende März geht im Tagungshaus Wörgl eine Ära zu Ende. Mag. Dr. Edith Bertel, die seit 2004 das Bildungshaus der Erzdiözese Salzburg leitet, tritt in den Ruhestand, ihr folgt der Kufsteiner Herwig Ortner nach. Die Theologin hinterließ über 15 Jahre lang ihre Handschrift im Betrieb der Bildungseinrichtung. Jetzt freut sie sich auf einen neuen Lebensabschnitt in ihrer Heimatgemeinde Silz.
Als Frau Theologie zu studieren und sich in der Doktorarbeit mit der „Inkarnation im Geheimnis der immanenten und ökonomischen Trinität“ anhand des mittelalterlichen Bibeltheologen Rupert von Deutz zu beschäftigen, ist außergewöhnlich. 1960 in Innsbruck geboren, besuchte Edith die Hauptschule der Ursulinen in Innsbruck und fand während ihrer Zeit im Internat am katholischen Oberstufengymnasium der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck im Klosterleben des Ordens eine Perspektive für ihr Leben – fasziniert vom Ordensgründer Vinzenz von Paul und seiner zeitlos aktuellen Botschaft: „Dieser Orden war der erste, der nicht aufs Kloster zentriert war, sondern nach außen gewirkt und sich der Not in jeder Hinsicht angenommen hat. Menschendienst ist Gottesdienst“, begründet Edith ihre Entscheidung, sich als Schwester zu verpflichten. Sie ist immer noch begeistert von der „Spiritualität und sozialen Sprengkraft. Es geht nicht um Gleichmacherei, sondern um Gerechtigkeit. Menschen sollen nicht in bitterer Not, sondern möglichst viele gut leben. Das ist auch heute in Zeiten von Superreichen und Absacken des Mittelstandes zu working poor ein absolutes Thema.“
„Der Glaube beginnt da, wo die Erklärung aufhört“
Edith absolvierte die Ausbildung an der pädagogischen Akademie und viele Praktika in verschiedensten Ordenshäusern, bevor sie ihre berufliche Laufbahn 1982 als Volksschullehrerin in Vorarlberg begann. Doch das war nicht das Richtige – nach zwei Jahren setzte sie ihre Studien in Innsbruck und Rom fort, vertiefte sich in Religionspädagogik und Latein im Doppelstudium mit Fachtheologie. Das Doktorat war Wunsch des Ordens. Doch was faszinierte die junge Frau an mittelalterlicher Bibeltheologie? „Der Umstand, dass es damals noch keine philosophische Theologie gab, die glaubt, alles erklären zu können. Gott blieb damals ein größeres Geheimnis, mystischer. Und der Glaube beginnt da, wo die Erklärung aufhört“, ist Edith überzeugt. Herausfordernd das Quellenstudium, Primärliteratur alles in Latein. Dabei formte sich Ediths Zugang zur Bildung: „Wissen, Lernen ist eine Bereicherung fürs Leben. Bildung ist ein Wert an sich, nicht nur unter dem Ausbildungs-Aspekt um-zu. Das ist auch in der Erwachsenenbildung ein Stück weit verloren gegangen.“
Bildung zur Erweiterung des Horizontes, zur Eröffnung neuer Blickfelder, die das Denken breiter und toleranter macht. Lebenslang. „Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, gut zu leben. Zwischen schwarz und weiß gibt es hunderte Graustufen. Genau hinsehen und differenzieren, nicht nur in Entweder/Oder-Kategorien denken“, lautet das Credo der Theologin, die nach 16 Jahren dem Orden den Rücken kehrte. „Mit 18 dachte ich – dieser Orden gehört renoviert, zurück zu den Wurzeln!“, erinnert sich Edith, die mit ihrem Elan nicht das bewegen konnte, was sie erhoffte. Anpassen oder gehen stand im Raum, und da hat sie sich selbst verändert, ihr Leben anders gestaltet. Sie lernte ihren Mann Martin kennen, heiratete 1996 und bekam mit ihm Tochter Mara.
„Ich wollte nicht ein Leben lang in der Schule bleiben“
Nach Abschluss der Dissertation 1994 unterrichtete Edith Bertel bis 2004 in unterschiedlichen Schulen und bis 2013 am Institut für Sozialpädagogik in Stams, war von 2001 bis 2004 Mitarbeiterin am Religionspädagogischen Institut in Innsbruck und organisierte Weiterbildungsprogramme. „Ich wollte nicht ein Leben lang in der Schule bleiben“, so Edith, die sich genau an den Tag erinnert, an dem sie beschloss, sich auf eine Stellenausschreibung für die Leitung des Wörgler Tagungshaues zu bewerben. Und das schaffte sie gerade noch am letzten Tag der Bewerbungsfrist. Online – damals noch unüblich. Die Einladung zum Hearing überraschte sie – und noch mehr dessen Ausgang.
„Ich dachte immer an weitere Berufsfelder wie jene als Lehrerin. Ich bin aber kein missionarischer Mensch, die Berufung und das Bedürfnis, in der Pfarrseelsorge zu arbeiten, hab ich nie gehabt“, erklärt Edith und sieht nicht nur das Rollenbild der Frau in der Amtskirche kritisch. Der Personalmangel führe dazu, dass Stellen nicht nach Talent des einzelnen, sondern nach dem Bedürfnis der Institution besetzt werden. Edith blieb ihrer Natur treu, ließ sich nicht nach Funktion einteilen. Es lag ihr fern, Religion zu idealisieren. Ihr Verhältnis zur Religion bezeichnet sie als gespalten: „Vom Intellekt her bin ich eher Atheist – aber ich hatte immer eine Beziehung zu Gott. Das ist nicht erklärbar“, weiß sie vom inneren Widerspruch und lebt ihn.
„Den Menschen ein Stück Heimat geben“
Mit der Leitung des Tagungshauses betraut, brachte Edith Bertel nun ihre eigene Handschrift ein. Einerseits wollte sie in der weltoffenen Tradition ihres Vorgängers Gustl Schwarzmann weiterarbeiten und das Bildungsangebot breit gefächert weiterführen, zeichnete sich das Tagungshaus Wörgl zu jener Zeit doch als einziges religiöses Bildungshaus mit allgemeinem Angebot aus. „Kirche hat die Aufgabe, dem Menschen ein Stück Heimat zu geben, dem ganzen Menschen. Und das ist mehr als theologische Weiterbildung“, erklärt Bertel.
Ein Ambiente schaffen, in dem sich die Leute wohlfühlen – und das leistbar bleiben soll. „Bildung ist kein Geschäftsmodell mit monetärem Gewinn“, lautet ihr Credo. Auch, dass sie immer auf wissenschaftlicher Basis seriös bleiben muss: „Von Esoterik haben wir uns immer abgegrenzt.“ Zum sinnerfüllenden Angebot, das den Horizont erweitert, Denken in anderen Räumen und sehen größerer Zusammenhänge beinhaltet – darin hat viel Platz. „Auch Kurse zum Seife Machen, das gehört zum täglichen Leben“, so Bertel. Vieles habe mit Religion zu tun, das auf den ersten Blick nicht so aussehe. Die Verpflichtung, so zu leben, dass nicht alles kaputt gemacht werde – weder Erde, noch Mitmenschen, noch Natur und Kultur, dafür habe man Verantwortung.
Und so lag Edith der Aspekt der Nachhaltigkeit ebenso besonders am Herzen wie die Vermittlung fundamentierten Wissens über Religion durch Universitätsgelehrte. Sie öffnete das Tagungshaus für diverse Gruppen, ging Kooperationen mit Veranstaltern ein. Deutschkurse für Flüchtlinge zählten da ebenso dazu wie ein großer Informations- und Integrationsschwerpunkt zu Judentum und Islam mit interreligiösen und interkulturellen Themen, längst vor der Flüchtlingskrise.
Bertel strebte als Leiterin der Einrichtung Zertifizierungen an, die mit dem Team allesamt gut umgesetzt wurden – ob ISO, ÖCERT oder zuletzt als Klimabündnis-Unternehmen. Barrierefreiheit im Haus war ihr bei der Umgestaltung von Saal und Foyer ein besonderes Anliegen, auch die Einbindung der Lebenshilfe bei Veranstaltungen. Seit über 10 Jahren läuft der Offene Treff für Downsyndrom im Haus, auch eine Gruppe für Gehörlose trifft sich hier regelmäßig.
„Leider ist es mir nicht gelungen, die Wörgler mehr zu erreichen“, zieht Bertel Bilanz über all jene Angebote abseits des Pfarrlebens – denn das Pfarrleben sei viel reger geworden. Exerzitien im Alltag, Seniorentreff, die Kleinkindgottesdienste boomen und viele Gruppen nützen das Haus für Weihnachtsfeiern.
Ein Blick auf die Amtskirche…
Ernüchtert ist auch ihr Blick auf die Amtskirche: „Als ich jung war, hat sie sich mehr bewegt wie jetzt. In Innsbruck herrschte damals Aufbruchsstimmung. Priester aus aller Welt waren da. Mit dem Konzil wollte man die Kirche ins Hier und Heute holen.“ Die Situation jetzt beschreibt Edith mit dem Zitat eines 80jährigen Priesters: „Als Junge haben wir die Alten gefürchtet. Jetzt bin ich alt und fürchte die Jungen.“ Alte Priester seien vielfach weltoffener, aufgeschlossener und zuversichtlicher als junge – und in der Frauenfrage gehe „gar nichts weiter“. Auch seien teilweise Konzilsdekrete bis heute nicht umgesetzt – gerade in der Anerkennung der gleichen Ziele verschiedener Religionen. „Es geht darum, zu einem größeren Miteinander zu kommen. Wie kann man dann davon ausgehen, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt?“ wünscht sich Bertel eine Veränderung der Haltung der Amtskirche zu nicht christlichen Religionen und meint: „Wenn Gott Mensch wird, wird er jeder Mensch!“ Da bleibe noch viel zu tun. Und angesichts des Tempos sei es erstaunlich, dass „das Schiff der Kirche noch nicht untergegangen ist, erachte ich als eines der ganz großen Wunder – da die Kirche schon schlimmere Zeiten als die heutige erlebt hat.“
Mit der Pension beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt. Gibt es dafür schon Vorhaben? „Ich habe mir vorgenommen, ein Jahr lang nichts zu anzufangen. Nur Haushalt, bei mir selber ankommen. Ich will mich nicht ins nächste Abenteuer stürzen und nehme auch keine diversen Ehrenämter an“, so Bertel. Sie wolle sich Zeit nehmen, um herauszufinden, was sie wirklich will – die Dinge auf sich zukommen lassen. Ihrer Tochter helfen, ein eigenes Leben aufzubauen. Und sich bewusst damit auseinandersetzen, dass „ich einmal sterbe. Ich bin der Typ der sich sein eigenes Begräbnis selbst vorbereitet.“
„Langweilig wird mir nie!“
Edith kann gut damit umgehen, dass manches anders kommt als geplant. Die große Abschiedsfeier am 28. März 2020 in Tagungshaus und Kirche musste ebenso Corona-Virus-bedingt abgesagt werden wie ihre geplante Reise nach Venedig, mit der sie gemeinsam mit Martin in den neuen Lebensabschnitt starten wollte. Nur eines ist sicher: „Langweilig wird mir nie. Ich bin auch gern allein – ich habe eine kontemplative Seite. Ich suche mir im Garten ein nettes Platzerl, nur um zu schauen, zu spüren, ruhig zu werden.“ Aber auch das brauche Übung . Gepflegtes Nichtstun sei „eine Kunst, die man üben muss. Ich bin bäuerlich aufgewachsen und da war es üblich, auch mal eine Stunde lang in der Sonne vor dem Haus zu sitzen und nichts zu tun.“ Ein guter Ratschlag für uns alle…