1941 ging das Inn-Kraftwerk Kirchbichl in Betrieb – über 80 Jahre später erinnert jetzt ein Kunstwerk an das Schicksal jener Menschen, die mit Zwangsarbeit für das nationalsozialistische Regime einen hohen Preis dafür bezahlten. Am 2. Juli 2024 wurde Tirols erste Gedenkstätte an die NS-Zwangsarbeit von der Tiwag präsentiert.
Das Kraftwerk Kirchbichl wurde von 1938 bis 1941 von der NS-dominierten Alpenelektrowerke AG mithilfe von Zwangsarbeit errichtet und nach 1945 von der Tiwag übernommen. Als diese 2013 die erfolgte Kraftwerkserweiterung plante, nahm sie sich auch dieses dunklen Kapitels der Kraftwerksgeschichte mit wissenschaftlicher Aufarbeitung des sogenannten „Polenlagers“ (1938-1942) sowie des „Lagers am Wehr“ (1942-1945) an, wobei letzteres auch archäologisch untersucht wurde.
Die Tiwag kam auch für die Errichtung des Mahnmals auf, das vor den Kraftwerkstoren an gut sichtbarer Stelle direkt am vielbefahrenen Radweg gelegen an die Zwangsarbeit und deren Opfer erinnert: Acht eiserne Wächter mit Bronzeköpfen blicken auf das Kraftwerk, umrahmen ein Paar, das an die grausame Ermordung zweier polnischer Zwangsarbeiter erinnert.
Todesstrafe für polnische Zwangsarbeiter
„Zwei polnischen Zwangsarbeitern wurde eine Liebesbeziehung mit zwei Tirolerinnen unterstellt. Sie wurden dafür hingerichtet und die Frauen ins Konzentrationslager deportiert“, schilderte Tiwag-Vorstandsdirektor Alexander Speckle den grausamen Höhepunkt der Misshandlung jener Menschen, die den Kraftwerksbau ermöglichten. Es gehe nun darum, „mit der Gemeinde und vor Ort die Geschichte aufzuarbeiten und auch in den Schulen näher zu bringen“, so Speckle. Die Tiwag wolle damit auch „ein Zeichen setzen, damit so etwas nie wieder passiert“.
„Das Kraftwerk Kirchbichl war eine Pioniertat mit einem Nutzen für ganz Tirol bis heute“, erklärte Kirchbichls Vizebürgermeister Wilfried Ellinger, der sich bei der Tiwag und allen Projektbeteiligten für die Errichtung des Mahnmals bedankte. „Das Kunstwerk ist Anlass für ein Schulprojekt an der Neuen Mittelschule, in dessen Rahmen den vierten Klassen im Unterricht zum basisorientierten Wissen über die NS-Zeit auch die Lokalgeschichte vermittelt wird.“ Als Projektleiterin an der Schule arbeitet Mag. Bianca Fragner bei den „memory walks“ mit Aaron Peterer vom Anne Frank Verein Österreich zusammen.
Die Kraftwerks-Erweiterung erfolgte von 2017 bis 2020 – die Tiwag investierte 110 Millionen Euro in Tirols ältestes Laufkraftwerk, das mit einer Jahresproduktion von 165 GWh bis zu 50.000 Haushalte in der Region mit Strom versorgt. Mit der Errichtung der Gedenkstätte dauerte es länger. Als unermüdlicher Motor stellte sich der pensionierte Landesforstdirektor Hubert Kammerlander hinter das Projekt, der sich bereits 2017 für die Errichtung einer Gedenkstätte für vier NS-Widerstandskämpfer aus den Reihen der Forstarbeiter auf der Praa-Alm in der Wildschönau engagierte. Im Rahmen der Ausstellung zum Zwangsarbeits-Durchgangslager in Wörgl-Söckingen 2016 wurde Kammerlander auf die Lager in Kirchbichl aufmerksam und blieb am Ball, band den polnischen Generalkonsul Eugen Sprenger in das Projekt ein und fand in ihm einen Mitstreiter.
Erinnerung an Zwangsarbeits-Opfer
„In Österreich waren über 500.000 polnische Zwangsarbeiter im Einsatz“, erinnerte Eugen Sprenger an die weit verbreitete Zwangsarbeit im „Dritten Deutschen Reich“. In Tirol waren nicht nur 150 Polen in Kirchbichl stationiert, auch beim Kraftwerksbau im Zillertal, in der Flugzeugindustrie in Kematen sowie in der Landwirtschaft. Sprenger wies auf den schlechten Status und damit die schlechten Lebensbedingungen der zwangsweise rekrutierten Arbeitskräfte hin, die als „minderwertige Rasse“ beurteilt wurden. Viele seien umgekommen, wovon auch Gräber heute noch in Tirol zeugen. Es sei „angemessen“, 80 Jahre nach der Kraftwerkseröffnung eine Gedenkstätte für die ZwangsarbeiterInnen zu errichten. „Ein Volk trägt die Verantwortung für die Vermittlung und das Gedenken an die Geschichte“, so Sprenger, der nicht umhin kam, die österreichische Politik hinsichtlich der Opfer-Entschädigung zu kritisieren. Diese wurde erst im Jahr 2000 gesetzlich geregelt – viel zu spät für viele.
Sprengers Dank ging an Hubert Kammerlander für die Einbindung ins Denkmal-Projekt, an Alexander Speckle und die Tiwag und sowie die Gemeinde – er zeigte sich „überrascht von der Ernsthaftigkeit“, mit der Kirchbichls Gemeindeführung nun hinter dem Projekt stehe: „Es war ja nicht eure Schuld, aber offenbar ist es euch ein Herzensanliegen.“
Begleit-Doku „Archäologie der Zwangsarbeit“
Sehr zufrieden mit der Gedenkstätte und der wissenschaftlichen Aufbereitung, die verständlich in der archäologie-aktuell-Ausgabe „Archäologie der Zwangsarbeit“ dokumentiert wurde, ist Hubert Kammerlander. Er freut sich über die Mitarbeit von Horst Schreiber und die Einbindung ins Projekt erinnern.at sowie das Schul-Vermittlungsprogramm, für das er sich eine Ausdehnung auf weitere Schulen auch im Umland wünscht. Erinnern an die Opfer bedeute auch den Schrecken des menschenverachtenden NS-Systems, bei dem zur Denunziation gezwungen wurde, nicht zu vergessen.
„Dieses Kunstwerk ist in der Tiroler Gedächtnislandschaft das erste Gedenkzeichen für Zwangsarbeit“, würdigte Horst Schreiber das Mahnmal und begrüßte die Einbindung von Schulen, um die Erinnerung lebendig zu halten. Er bot an, gemeinsam mit der Mittelschule Kirchbichl in Kooperation mit erinnern.at auch Materialien für den Unterricht zu erstellen.
„Das Denkmal ist ein schöner Abschluss für das wissenschaftliche Projekt“, erklärte Johannes Pöll vom Bundesdenkmalamt in Innsbruck, der ebenso wie eine Reihe weiterer AutorInnen die Begleit-Dokumentation „Archäologie der Zwangsarbeit“ über das „Lager am Wehr“ und das Polenlager beim Innkraftwerk Kirchbichl verfasste. Die archäologischen Grabungen und Bodensondierungen seien wichtig, um zu belegen, wo die Lager und wie die Lebenssituation waren. Pöll dankte der Tiwag auch für die Finanzierung des Druckkosten – so werde es möglich, die „Erinnerung auch mit Geschriebenem weiterzutragen.“
Die Dokumentation hinterließ auch beim Künstler Martin Wilberger aus Fulpmes im Stubaital, der gemeinsam mit seinem Sohn Michael ein halbes Jahr in seiner Werkstatt an der Umsetzung arbeitete, einen tiefen Eindruck. Um eine Wortspende gebeten meinte er: „Wenn ich das erklären muss, habe ich etwas falsch gemacht.“ Der Mensch steht im Mittelpunkt des aussagekräftigen Mahnmales, von der TIWAG-Tirol Wasserkraft AG versehen mit der Inschrift:
„Zur Erinnerung und zum Dank den ausländischen Zivil- und Zwangsarbeitern sowie Kriegsgefangenen gewidmet, die das Innkraftwerk Kirchbichl in den Jahren 1938-1941 unter der nationalsozialistischen Dikatur errichtet haben.
Zum Gedenken an die Polen Jan Kosnik und Stefan Widla, die wegen eines angeblichen Verhältnisses zu einheimischen Frauen am 2. September 1940 in Kirchbichl hingerichtet wurden.
Zur Erinnerung an Annemarie Edenhauser und Hedwig Schwendter, die wegen des Vorwurfes des intimen Umgangs mit Jan Kosnik und Stefan Widla in die Konzentrationslager Ravensbrück und Auschwitz deportiert wurden und überlebt haben.
Diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollen uns Mahnung zum Frieden sein!“