Hausgemachte Hochwasserprobleme

Wetterkapriolen mit Starkregen zählen zu den immer häufiger werdenden Auswirkungen des Klimawandels. Bei Hochwasserschutz wird vor allem an die anschwellenden Gewässer und Flüsse gedacht – doch nicht nur diese verursachen Schäden, wie sich diesen Sommer in mehreren Wörgler Stadtgebieten anhand überlaufender Oberflächen- und Abwässerkanäle zeigte.

Gleich drei Mal kam diesen Sommer das Wasser. Wo es Schaden anrichtete, zeigt sich in den Einsatzberichten der Stadtfeuerwehr Wörgl, die zu rund 80 Einsatzorten gerufen wurde. Das erste starke Unwetter mit Hagel, starkem Wind und heftigem Regen ging am 7. Juni 2024 nach 23 Uhr nieder. Die Bilanz: überschwemmte Keller, abgedeckte Dächer und Fassadenschäden. Mit durchgeführten Bachkontrollen zählte die Feuerwehr 28 Einsätze und rückte am Tag danach nochmals zur Absicherung eines abgedeckten Gebäudes in der Wildschönauer Straße aus.

Der nächste Unwetter-Alarm schon am Samstagabend, 8. Juni 2024  – um 19:13 Uhr erfolgte die erste Alarmierung durch die Leitstelle Tirol. Mehrere Keller und Tiefgaragen standen aufgrund des starken Regens unter Wasser, sie wurden mittels Tauchpumpen und Wassersauger von den Wassermassen befreit. Zusätzlich wurden die Fließgewässer in Wörgl kontrolliert. Teilweise mussten Äste aus den Bächen entfernt werden, um einen ungestörten Durchfluss gewähren zu können.  In Summe wurden 19 Einsätze mit acht Fahrzeugen und knapp 35 Mitgliedern abgearbeitet.

Am Abend des 17. August 2024 zog erneut eine Unwetterfront mit Starkregen über das Wörgler Stadtgebiet. Folglich wurde die Feuerwehr Wörgl von der Leitstelle Tirol zu insgesamt 29 Einsätzen alarmiert. Durch die Wassermassen entstanden vielerorts kleinflächige Überflutungen, wodurch die angrenzende Keller überflutet wurden. Die Hauptaufgabe der Feuerwehr war es, die überfluteten Keller mittels Tauchpumpen und Wassersauger vom Wasser zu befreien. 27 Keller mussten ausgepumpt werden.  An mehreren Stellen entstanden regelrechte Seen, da die Wassermassen nicht in die Kanalisation abfließen konnten. In diesem Zusammenhang mussten mehrere Kanaldeckel geöffnet bzw. von Ästen befreit werden. Die Feuerwehr Wörgl wurde zusätzlich von der Feuerwehr Kirchbichl bei der Abarbeitung der Wasserschäden unterstützt. Die Wörgler waren mit sieben Fahrzeugen und knapp 45 Mitgliedern und die Feuerwehr Kirchbichl mit drei Fahrzeugen im Einsatz.

Überfordertes Kanalsystem

Probleme bereitete in einigen Stadtteilen nicht nur das von oben kommende Wasser, sondern auch jenes, das aus dem Kanalsystem an die Oberfläche strömte und teilweise auch aus dem Abwasserkanal samt Fäkalverunreinigungen austrat.  Betroffen davon war u.a. die Bundesfachschule für wirtschaftliche Berufe in der Innsbrucker Straße, in die drei Mal Wasser eindrang. Auch im benachbarten Bundesschulzentrum richtete Wasser massive Schäden an, die bei Schulbeginn noch längst nicht behoben waren und immer noch zu Einschränkungen bei der Raumnutzung führen.

BRG-Direktor Christian Pronegg informierte nach der ersten Schulwoche die Eltern: „Im Sommer ist zweimal Wasser über einen Kanalrückstau ins Schulgebäude eingetreten. Einmal musste sogar die
Feuerwehr Wasser abpumpen…  Die Schäden behindern teilweise den Unterricht und
die bereits länger geplanten Umbaumaßnahmen am Gebäude massiv“, heißt es im Schreiben, das die Schäden auch auflistet – Wasserschaden im Musiksaal und in den beiden EDV-Sälen im Untergeschoss, in den Turnsälen und Umkleidekabinen inklusive Schimmelbefall sowie Schäden im Keller und in den Gängen.  Für den EDV-Unterricht kooperiere man nun mit der HAK, die
größte Herausforderung werde aber der Sportunterricht, der bei Schönwetter vermehrt in Form von Outdoor-Aktivitäten stattfinden werde.

Wiederholte Flutschäden in Privathäusern

Besonders arg betroffen sind niedrig gelegene Wörgler Stadtgebiete, wie wiederholte Überflutungen in der Prandtauer und Opperer-Straße zeigen. Hier bereitet das aus dem städtischen Oberflächen-Entwässerungskanal austretende Wasser regelmäßig Probleme, die die betroffenen Familien verzweifeln lassen. Viele waren schon bei der Hochwasserkatastrophe 2005 massiv betroffen. Einer davon ist Gerhard Unterberger, der die Problematik für die Anrainer schildert und die Stadt zum Handeln auffordert: „Die Regenwasserentsorgung bereitet hier große Probleme. Bei Starkregen staut sich das Oberflächenwasser im Kanal, der geht über und überschwemmt die Straßen und Gärten. Dazu kommen noch Oberflächenwässer von höher gelegenen Gebieten, die über die Straßen rinnen. Das Wasser kam heuer schon drei Mal, am schlimmsten am 17. August – da stand es bei meiner Tochter 30 bis 40 cm hoch in der Wohnung im Erdgeschoss.“ Die Feuerwehr Wörgl rückte mit Pumpen an – doch wohin mit dem Wasser? Der angrenzende Latreinbach ging selbst schon über – das Wasser dürfte dort auch nur mit Einverständnis der Dorfinteressentschaft eingeleitet werden – so wurde es mit Schlauchleitungen zum Madersbacherweg gepumpt, rann dort auch in die Tiefgaragen angrenzender Wohnhäuser.

Entlang der Prandtauer Straße sind mehrere Häuser von regelmäßigen Überflutungen betroffen. Elfriede, ebenso Anrainerin, schildert ihre Lage: „Wir sind seit 1971 hier. Seither wurde zweimal asphaltiert nach der Verlegung von Gas und Fernwärme und damit die Straße erhöht, jetzt rinnt uns das Wasser in die Garage und in den Keller. Der Kanal wurde nie vergrößert. Früher hatten wir kein Problem mit dem Wasser. Viele Nachbarn haben sich bereits selber Pumpen angeschafft.“

Doch das Auspumpen funktioniert nur, wenn das Wasser dann abrinnen kann – was aufgrund des Rückstaues aus dem Kanal eben nicht mehr funktioniert. So wandten sich betroffene Anrainer an die Stadt und die Stadtwerke mit dem Ansinnen, dass man sich dort um die Regenwasserproblematik kümmern solle. Und machten dabei frustrierende Erfahrungen, wie Gerhard Unterberger erklärt: „Anstatt Lösungen anzubieten, wurde behauptet, dass die Kanalisation der Norm entspreche. Eine Verantwortung für die wiederkehrenden Schäden wurde abgelehnt.“

Die von den aktuellen Überflutungen Betroffenen wenden sich mit einer Petition an den Wörgler Gemeinderat, unterschrieben von über 30 Anrainern, und fordern Maßnahmen, um die immer wiederkehrenden Schäden abzuwenden. Darunter eine dringende Überprüfung und Sanierung der Kanalisation, die Entwicklung eines umfassenden Konzeptes bei Starkregen-Ereignissen mit Präventionsmaßnahmen, eine enge Zusammenarbeit mit der Bevölkerung und die Bereitstellung von dazu erforderlichen finanziellen Mitteln.

„Das Problem ist, dass seit Errichtung des Wörgler Kanalsystems vor gut 40 Jahren die Stadt enorm gewachsen ist während am Kanalsystem keine Änderungen vorgenommen wurden. Jetzt kommen noch extremer werdende Wetterereignisse dazu“, argumentieren Betroffene wie Elfriede und Gerhard, der als Nadelöhr Wörgls Hauptkanal sieht, der durch die bestehende Bahnunterführung bei der Poststraße verläuft: „Da passierte schon unter Bgm. Abler ein schwerwiegender Fehler bei der Schaffung des Radweges. Es wäre damals besser gewesen, eine neue Unterführung für den motorisierten Verkehr zu errichten und die bestehende Unterführung als Radweg zu nützen – dann könnte der Hauptkanal dort entsprechend vergrößert werden.“

Hätte und wäre nützt aber den Betroffenen nichts – auch nicht die Auskunft, die sie vom Bürgermeister und den Stadtwerken erhalten haben. „Den Betroffenen wurde die Verantwortung zugeschoben. Sie hätten halt die falsche Bauentscheidung getroffen, sich in dieser ungünstigen Grundstückslage anzusiedeln – sie sind also selber schuld“, ärgert sich Gerhard Unterberger und sieht die Sache anders: „Alle, die hier gebaut haben, erhielten eine Baubewilligung von der städtischen Baubehörde! Wer aufgrund der Hochwassergefahr aufschütten und höher bauen wollte, dem wurde das sogar verweigert.“ Und gebaut wurde nach dem Hochwasser 2005 noch viel – die Rote Zone samt Bauverbot (das restriktiv aber nur für die Privaten, nicht aber für Betriebe gilt) kam erst 2013.

Mit der Baubewilligung verbunden sei es auch die Pflicht der Stadt, sich um die Siedlungsinfrastruktur und damit die Regenwasserentsorgung und das unzulängliche Kanalsystem zu kümmern, das könne nicht auf die BürgerInnen abgewälzt werden. Unterberger, der sich seit 19 Jahren in der Hochwasserschutz-Bürgerinitiative engagiert und intensiv mit der Problematik auseinandersetzt (463 Sitzungen in 19 Jahren), zweifelt auch an der Sinnhaftigkeit vorgeschriebener Sickermulden für Oberflächenwässer: „Im Winter ist hier der Grundwasserpegel bei 1,2 bis 1,3 Meter, im Sommer bei einem halben Meter. Da können solche Wassermassen garnicht versickern.“

Wie können sich Betroffene nun selbst schützen? Viele haben bereits Rückschlagklappen montiert und Pumpen angeschafft. Vereinzelt kann der Bau von Schutzmauern helfen. Diese Option zieht Gerhard Unterberger jetzt für das Haus, in dem seine Tochter wohnt, auch in Betracht: „Im Stadtbauamt wurde dafür grünes Licht signalisiert, eine Bauanzeige reicht.“

Auch wenn einzelne jetzt teuer in Schadensabwehr investieren, verschwindet damit nicht das Grundproblem – vor allem verlagert es sich, wenn jetzt geflutete Senken nicht mehr als „Überflutungsraum“ zur Verfügung stehen. Unterberger erstellte deshalb einen Vorschlag für die Überarbeitung des Regenwasser-Managements durch die Gemeinde (hier in voller Länge nachlesen Die Überarbeitung des Regenwassermanagements durch die Gemeinde), der neben regelmäßiger Überprüfung und Wartung eine Anpassung an den Klimawandel und die Starkregenereignisse sowie die zunehmende Bodenversiegelung beinhaltet.

Die Stadtwerke Wörgl wurden schriftlich um eine Stellungnahme gebeten. Sobald diese vorliegt, wird sie hier auch veröffentlicht.