Berührendes Theater zugunsten der Hospiz-Gemeinschaft

Das letzte Stück des Lebensweges, wenn es durch Schmerzen richtig schwer wird – das gehen im Bezirk Kufstein 23 ehrenamtliche HospizbegleiterInnen mit. „Für die, die gehen. Und die, die bleiben“ steht als Leitsatz über der Arbeit der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft, die ihren Dienst kostenlos zur Verfügung stellt und deshalb auf Spenden angewiesen ist. Für freiwillige Spenden zugunsten der Hospiz-Teams von Wörgl und Kufstein beeindruckte am 7. Oktober 2022 die Dorfbühne Telfes im Stubai mit dem berührenden Biografie-Theater „Julia M.“ bei zwei Vorstellungen in der Zone Kultur.Leben.Wörgl.

Heute unvorstellbare Lebensverhältnisse, Schicksalsschläge, tiefer Glaube und Aufopferung für die Familie – die Geschichte der Julia M. berührt und gibt Einblicke in eine gar nicht so lang vergangene Zeit. Für ein Theaterprojekt recherchierte Moni Grabmüller die Lebensgeschichte ihrer Oma Julie M., die 1907 geboren wurde und vor 36 Jahren starb. Aus geplanten vier Aufführungen vor 6 Jahren wurden mittlerweile über 50, darunter auch etliche in Schulen.  Moni Grabmüller schlüpft mit der  Originalkleidung auch in die Rolle ihrer Oma und erhält dabei auf der Bühne Unterstützung von ihrer Schwester Elke Brandauer, die alle weiblichen Rollen spielt, und ihrem Theaterkollegen Bernhard Dießler, der alle männlichen Parts übernimmt.

Julie M. galt als sehr schweigsame Frau, die nie jammerte. Im Stück entlockt ihr die Mütterehrung des Tiroler Bauernbundes 1979 ihre berührende Lebensgeschichte. Das Mütterehrenzeichen in Gold. Noch bevor sie 1927 selbst mit 19 Jahren ledige Mutter wurde, musste Julie als erstes von 12 Kindern nach dem Tod der eigenen Mutter bei der letzten Geburt für die Familie die Mutterrolle übernehmen. Heiraten war erst 1930 möglich, als ihr Roman mithilfe eines Kredites eine Schmiede in Lueg am Brenner ankaufte. Noch am Hochzeitstag, an dem sie die Hochzeitsgäste selbst bekochte, übersiedelte Julie mit ihrem Kind von Trins nach Lueg und musste feststellen, dass sie dort desolate Wohnverhältnisse erwarteten. Plumpsklo, das Wasser musste vom Brunnen auf der anderen Straßenseite geholt werden, eine offene Feuerstelle in der Küche und Ratten überall, auch in Werkstatt und Stall.

Julie fügte sich, arbeitete Tag und Nacht und brachte von 1931 bis 1946 zu Hause 14 Kinder zur Welt. Kinder, die sie sich wünschte. Zwei entrannen im Babyalter nur knapp dem Tod. Ein Alltag voller Stall- und Hausarbeit mit nur 3 bis 4 Stunden Schlaf auf engstem Raum. Ein Zimmer für die Buben, eins für die Mädchen, die Eltern mit den Kleinkindern auf der Ofenbank in der Stube. Ihre schwerste Zeit kam, als ihr Mann Roman an Lungenkrebs erkrankte. Da war ihr Jüngstes noch keine fünf Jahre alt. Nachdem ihm die halbe Lunge operativ entfernt wurde, pflegte Julie den schmerzgeplagten Todkranken, litt mit ihm, kam nur mehr auf zwei Stunden Schlaf – eineinhalb Jahre lang, bis er vom Tod 1954 zwei Tage vor Weihnachten erlöst wurde.

Julies jüngstes Kind war noch nicht volljährig, als das erste Enkelkind zur Welt kam. Bis zu 10 Enkelkinder wohnten dann bei ihr, sie zog sie groß, entlastete damit die berufstätigen Eltern. „Julies Lebenstraum war, einmal ein Buch zu lesen. Der erfüllte sich nicht mehr“, berichtete ihre Enkelin Moni nach der Vorstellung, als sie noch viele Fragen aus dem Publikum beantwortete. Julie verlor aufgrund ihres Alterszuckers das Augenlicht, hatte zwei Herzinfarkte und kurz vor ihrem Tod 1986 konstatierte ein Klinikarzt, dass er noch nie einen so verbrauchten Körper gesehen habe.

Neun ihrer Kinder leben noch, die Enkelschar wuchs auf 43, die Urenkel werden aufgrund der räumlichen Distanz der vielen Familienangehörigen gar nicht mehr gezählt. Die Lebensgeschichte der eigenen Oma so öffentlich zu machen – wie wurde das im Familienkreis aufgenommen? Sehr gut, denn die Angehörigen bekamen oft selbst nicht einmal viele Details mit, Julies Lebensmotto „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ geschuldet.

Was ursprünglich als Theaterprojekt des Landestheaterverbandes im Kramsacher Höfemuseum begann, entwickelte sich zum „Dauerbrenner“ für die Dorfbühne Telfes, bei deren Gastspielen die drei AkteurInnen auf der Bühne von Regisseur Willi Hammer und Martin Wegscheider an der Lichttechnik unterstützt werden. Die Geschichte von Julia M. berührt, auch in Schulen, die mit dem Biografie-Theater lebendig Zeitgeschichte vermitteln.

Hospiz-Begleitung war zu Julies Lebenszeit noch kein Thema in Tirol. „20 % der Sterbenden brauchen heute palliativmedizinische Unterstützung für ein Sterben in Würde und weitgehender Schmerzfreiheit“, teilt die Tiroler Hospizgemeinschaft anlässlich des Welthospiztages am 8.10.2022 mit. 4 von 5 Menschen wollen zuhause sterben, egal in welchem Alter. Deshalb sind  neben stationären Einrichtungen mobile Angebote so wichtig. „In Wörgl sind 14 ehrenamtliche HospizbegleiterInnen im Einsatz, in Kufstein 8“, informierte Emanuela Staudacher-Egger, Regionalbeauftragte des Bezirkes Kufstein. Durchschnittlich werden 15 bis 20 Menschen betreut, zu Spitzenzeiten auch mehr. In Kufstein besteht die Hospizgemeinschaft seit 20 Jahren, Wörgl begeht 2023 das 10jährige Bestandsjubiläum. Die Ehrenamtlichen treffen sich zu monatlichen Sitzungen und absolvieren Fortbildungen. Weitere Infos bei Emanuela Staudacher-Egger per email emanuela.staudacher-egger(at)hospiz-tirol.at oder unter Mobiltel. 0676 8818890.