Das System Milch – der Konsument entscheidet

Das Thema Milch bewegt – nicht nur Landwirte, auch Konsumenten. Das zeigte das große Publikumsinteresse beim Filmabend „Das System Milch“ am 27. Februar 2018 im Tagungshaus Wörgl, bei dem zwei Vertreter der Wörgler Bauernschaft nach dem Dokumentarfilm über weltweite industrialisierte und bäuerliche Milchwirtschaft ihre Erfahrungen mit der Milch schilderten. Und dabei feststellten, dass die größtenteils kleinstrukturierte Landwirtschaft in Tirol und Österreich mit internationaler Milchindustrie nicht vergleichbar ist.

Der Südtiroler Filmemacher Andreas Pichler wirft in seinem Dokumentarfilm einen tiefergehenden Blick auf das industrialisierte System Milch, das er einem bäuerlichen, biologisch wirtschaftenden Kleinbetrieb in Mals gegenüberstellt. Pichler forscht nach, wohin die Milch und das Geld und fließen und porträtiert dazu die Milchproduktion in der EU, aber auch in China und Afrika.

In Europa weist das Geschäft mit der Milch einen Jahresumsatz von 100 Milliarden Euro aus, wobei von Konzernen 200 Millionen Tonnen Milch verarbeitet werden. In einem längst gesättigten Markt, der zur Ankurbelung des Exportes zur Jahrtausendwende dereguliert wurde. Mit negativen Auswirkungen für Bauern und Umwelt, wie Pichler dokumentiert. Dumpingpreise veranlassten viele Landwirte dazu, die niedrigen Rohstoffpreise über die Menge wett zu machen – noch mehr Vieh, noch mehr Hochzucht zur Milchleistung. Hochverschuldete Betriebe, die am Fördertropf der EU hängen und durch Gülleüberschuss die Böden belasten.

Viele  Landwirte sehen sich heute als Verlierer. Pichler schildert die Realität anhand von Milchbauern in Dänemark und Deutschland. Hatte ein bayrischer Milchbetrieb 1978 noch 35 Kühe, so sind es heute 250. Vorbei ist es mit der Weidehaltung. Der Stall technisiert mit Melk- und Ausmist-Roboter. Doch der erhoffte Erfolg blieb aus. Der Bauer beklagt die Abhängigkeit von der Molkerei und den schlechten Milchpreis mit 27 Cent pro Liter: „Wir schaffen nur noch für die Konzerne und sind selbst dabei auf der Strecke geblieben.“

Der „Hoffnungs-Exportmarkt“ China, von dem sich Milchbauern endlich fette Gewinne  erwarteten, setzt indessen auf eigene Milchindustrie in gigantischer Größe – der größte Betrieb dort verarbeitet täglich 2000 Tonnen Frischmilch! Vom Wachstum des deregulierten Marktes profitierten nur die Konzerne. Und was noch schlimmer ist: die Überschüsse ruinieren Milchbauern in Entwicklungsländern in Übersee, wie Pichler am Beispiel des Senegal aufzeigt. Die örtlichen Bauern können mit dem subventionierten billigen Milchpulver aus der EU nicht konkurrenzieren. Auch einer der Fluchtgründe heute – wer kann, macht sich auf den Weg nach Europa.

„Unsere Überschüsse machen uns kaputt“, stellt eine Bäuerin im Dokumentarfilm fest, der sich auch mit den Nebenwirkungen der Milchproduktion in Form von Gülle-Überschüssen befasst. Für einen Liter Milch entstehen in der Intensiv-Haltung drei Liter Gülle. Und damit die hohe Milchleistung erreicht werden kann, reicht Gras allein längst nicht mehr aus. Hochleistungskühe werden zu zwei Drittel mit zugekauften Ackerprodukten gefüttert, wobei in der EU das Soja meist aus Südamerika importiert wird. Ein ökologisches Desaster – hier wie dort. Kühe können nachweislich nur ein Drittel der Energie aus Soja und Getreide verwerten. Folge der Gülle-Flut ist ein viel zu hoher Stickstoffeintrag auf den landwirtschaftlichen Flächen mit entsprechender Belastung der Böden und des Trinkwassers. Umweltkosten, die die Allgemeinheit zu tragen hat.

Landwirtschaft mit Zukunft

Dass Milchwirtschaft auch anders funktionieren kann, zeigt Pichler anhand eines Biomilchhofes in Mals in Südtirol auf. Weniger ist mehr – für alle. „Die ökologische Landwirtschaft ist auch die ökonomischste“, ist der Bio-Bauer überzeugt. Der Familienbetrieb verarbeitet die Milch selbst und vermarktet seine Produkte ab Hof sowie im Umkreis von 20 Kilometern. Die Kühe leben länger. Der Mist wird kompostiert und belebt den Boden anstatt ihn zu belasten. Der Bauernhof ist für ihn mehr als ein Arbeitsplatz – er ist ein Lebensmodell. „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft. Vom Traktor runter und  den Boden verstehen“, sagt der Bio-Landwirt und sieht die industrielle Landwirtschaft in der Sackgasse: „Die Bauern rationalisieren sich selber weg. Wir brauchen eine beseelte Landwirtschaft, und die ist nur im Kleinen möglich.“

Für ein Umdenken spricht auch die Tatsache, dass weltweit die Ernährungssicherheit nicht durch Konzerne, sondern am besten durch kleinbäuerliche Strukturen gewährleistet ist. Dass beim Milchbauern nur wenige Cent ankommen und das „Bauernsterben“ nach wie vor weitergeht, legt die Notwendigkeit eines Umdenkens bei der  Förderpolitik der EU nahe, die jährlich 45 Milliarden Euro für die Landwirtschaft ausschüttet. Das Sagen haben hier aber die Konzerne und Top-Player am Lebensmittelmarkt, der in der EU 1,4 bis 1,5 Billionen Euro Umsatz jährlich umfasst. Die prekären Produktionsbedingungen für die Bauern führen zu medial wenig beachteten Protesten, aber auch zu vermehrten Selbstmorden von Bauern wie Zahlen aus Frankreich belegen.

Der Konsument entscheidet

Welches System der Milchwirtschaft der Konsument nun unterstützt, entscheidet sich beim täglichen Einkauf. Und da gibt es durchaus Alternativen, wie die beiden Wörgler Landwirte Thomas Resch vom biologisch wirtschaftenden Schwoicherbauern und Ortsbauernobmann Hubert Werlberger vom Fohring-Hof in Wörgl-Boden nach der Filmvorführung aufzeigten, zu der das Unterguggenberger Institut, das Tagungshaus Wörgl und die Grüne Bildungswerkstatt Tirol geladen hatten. Beide sind Direktvermarkter mit Produktvielfalt und überzeugen mit Qualität – so erzielten die Käsespezialitäten vom Schwoicherbauern wiederholt Preise bei Prämierungen.  Der Fohring-Hof liefert Milch an die Tirol Milch, wobei der aktuelle Milchpreis auf 38,76 Cent Grundpreis pro Liter gesunken ist. Bio-Heumilch-Produzenten erhalten 57,40 Cent pro Liter.

Milch abliefern ist nur ein Standbein, ab Hof werden beim Fohringer Fleisch, Speck, Eier und Brot verkauft. Beim Biohof Schwoicherbauer gibt´s Käse, Joghurt, Milch, Honig, Schnaps, Brot, fallweise Apfelsaft sowie Eier und Eierlikör im Direktverkauf, wobei die Zillertaler Krapfen der Schwoicherbauern-Familie bei allerlei Events eine besonders begehrte Spezialität sind.

Ortsbauernobmann Hubert Werlberger stellte zu Beginn der Diskussionsrunde fest, dass das industrialisierte System Milch mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in Tirol nicht vergleichbar sei. Unterschiede zeigen sich auch deutlich bei den Zucht-Zielen, bei denen nicht die Milchmenge im Vordergrund steht – fit für die Alm und gesund sollen die Tiere sein. Fragen aus dem Publikum betrafen die Tierhaltung ebenso wie die Gülleausbringung und wieweit sich die Qualität der Milch unterscheidet – denn schließlich spielt es sehr wohl eine Rolle, was die Kuh frisst.

In einem stimmten die beiden Landwirte abschließend überein – mit dem Appell, möglichst regionale Produkte zu kaufen. Ob bio oder konventionell – denn konventionell kleinbäuerlich hier produziert macht gegenüber konventionell in industrieller Massentierhaltung hergestellt noch einen großen Unterschied.