Manche Schulprojekte entwickeln eine Leuchtkraft, die über Raum und Zeit hinaus reicht und den Beteiligten lebenslang in Erinnerung bleibt. Ein solches wurde am 1. März 2024 in der Zone Kultur.Leben.Wörgl vorgestellt. Aaron Peterer vom Anne Frank-Verein gestaltete mit der 4c-ARTEC-Klasse der Mittelschule NMS1 in Wörgl unter Mitwirkung der beiden Künstler Robert Freund und Mike Zangerl das Erinnerungsprojekt DERLA_360. Mittels 360 Grad-Fotografie entstand ein digitaler Rundgang zu Denkmälern an die Opfer der Nationalsozialisten in Wörgl.
Aaron Peterer arbeitet für das Anne Frank Haus in Amsterdam und gestaltete schon mehrfach gemeinsam mit Wörgler Schulen Workshops, Ausstellungen und „Memory Walks“ in der Stadt zu Erinnerungsstätten an das NS-Grauen. „Ein neuer Ansatz in der Vermittlungsarbeit ist die 360 Grad-Fotografie, mit der virtuelle Rundgänge, ausgestattet mit Hintergrundinformationen, erstellt werden können“, erklärt Peterer.
Was haben Monumente, die an NS-Opfer erinnern, heute jungen Leuten zu sagen? Mit Anne Frank und den Namen weiterer Opfer erhalten anonyme Zahlen Gesichter, werden Fakten zu berührenden Schicksalen. Peterer arbeitet mit den Jugendlichen beim Workshop auch heraus, was zu diesen Morden geführt hat, wie weit Intoleranz, Diskriminierung und Ausgrenzung heute immer noch relevant sind. Bestehende Erinnerungsstätten in Wörgl wie auch das Durchgangslager in Söcking, durch das von 1942-44 fast 32.000 Zwangsarbeiter geschleust wurden, machen klar, dass die Nazi-Ideologie auch hier gelebt wurde.
Mit 360 Grad-Fotos gegen das Vergessen
Zu Beginn des mehrtägigen Workshops stand Ende November 2023 die Beschäftigung mit Erinnerungskultur generell, gefolgt von einem Stadtrundgang, bei dem die 23 SchülerInnen die bestehenden Denkmäler für Euthanasieopfer im Friedhof Süd, an Sepp Gangl im Friedhof, an Opfer des NS-Regimes im Wörgler Kirchhof und an die hingerichteten Widerstandskämpfer Alois und Josefa Brunner am Bahnhofsplatz kennenlernten. Ein Besuch im neuen Museum Wörgl mit Informationen zum Durchgangslager in Söcking rundete den ersten Recherche-Durchgang ab.
Im Klassenzimmer forschten die Jugendlichen in der digitalen Erinnerungslandschaft DERLA nach Informationen zu den Wörgler Monumenten, die sie als „zu grau und unauffällig“ wahrnahmen. Wie das zu ändern wäre, bei diesen Überlegungen begleiteten die Jugendlichen die beiden Kunstlehrer Mike Zangerl und Robert Freund. In Gemeinschaftsarbeit entstand ein großflächiges Acrylbild, das fotografiert und bei einem weiteren Rundgang mittels Beamer auf die Monumente projeziert wurde. Aaron Peterer stellte die erforderliche technische Ausrüstung zur Verfügung und leitete die SchülerInnen bei der 360 Grad-Fotografie an. „Wir haben die Kamera mit Timer ausgelöst und uns versteckt, damit wir nicht auch im Bild sind“, schilderte Muhammed bei der Projektpräsentation, bei der die Jugendlichen ihre Eindrücke und Arbeitsschritte selbst erläuterten.
Digitaler Stadtrundgang zu NS-Opfer-Gedenkstätten
Im Cloud-basierten Programm Lapentor wurden die 360-Grad-Fotos der Monumente zu einem virtuellen Rundgang durch Wörgl zusammengestellt, durch den man mittels Pfeilen oder googlemaps navigieren kann. Beim Anklicken eingebauter Buttons ploppen Infos zu den Gedenkstätten, aber auch Anmerkungen der Klasse und Fotos mit den Farbprojektionen auf. Zu weiteren Projekt-Highlights für die SchülerInnen wurde ein Theaterworkshop mit Mike Zangerl und das Bedrucken von T-Shirts und Rucksäcken in der Glasfachschule Kramsach. Für den Siebdruck nahmen die Jugendlichen einen Auszug aus dem Gemeinschaftsbild als Motiv. Der Link zum virtuellen Rundgang: https://app.lapentor.com/sphere/derla-360-woergl
Das Projekt Derla_360 entstand in Zusammenarbeit mit der Online-Plattform DERLA (Digitale Erinnerungslandschaft Österreich) und vom OeAD finanziell unterstützt. „Ziel ist die Dokumentation aller Erinnerungszeichen und Orte des NS-Terrors in Österreich“, erklärte Eva Kolm vom OeAD und gratulierte zum gelungenen Impulsprojekt – gerade Vermittungsangebote wie dieses seien ein großes Anliegen für die Kulturvermittlung an Schulen.
Zum Projekt gratulierten weiters Wörgls Kulturreferent Sebastian Feiersinger sowie die stellvertretende Schulleiterin Sonja Ager: „Toll – ihr habt damit nach außen getragen, was ihr könnt!“ Begeistert sind auch die beiden Geschichtslehrer, die das Projekt begleiteten: „In der 4c-Klasse sind Schülerinnen und Schüler aus 13 Nationen. Unsere einzigen Bedenken waren Sprachbarrieren“, erklärt Katharina Haas. Die aber gemeistert wurden – „mit Kreativität, Unerschrockenheit und Zusammenhalt“, wie die Lehrerin festhält. Überzeugt vom nachhaltigen Wirken ist auch Gabriel Sammer, dem das Projekt DERLA 360 auf Anhieb zusagte. Zur Klassengemeinschaft zählen etliche Flüchtlingskinder, die in ihrem Leben aktuell mit auch damals relevanten Problemen konfrontiert sind.
„Alle Schülerinnen und Schülern haben viel Neues über die Geschichte und Erinnerungskultur in ihrer Heimatstadt erfahren. Sie leisten damit einen wertvollen Beitrag, um die Monumente, deren Geschichte und die Schicksale der damit verbundenen Menschen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen“, lobt Aaron Peterer. Zum Abschluss der gelungenen Projektpräsentation in der Zone erhielten die SchülerInnen noch Teilnahme-Zertifikate und viel Applaus, bevor bei einer gemeinsamen Jause auch gefeiert wurde.