Musikalische Grüße vom Freigeld-Bürgermeister

Heuer, im Jahr 2022, jährt sich die Ausgabe der Wörgler Arbeitsbestätigungen, weltweit bekannt als Wörgler Freigeld, zum 90. Mal. Der damalige Bürgermeister Michael Unterguggenberger  ging mit dem Währungsexperiment in die Weltgeschichte ein. Der Wörgler Bevölkerung war Unterguggenberger damals nicht nur wegen der Arbeitslosen-Nothilfe-Aktion ein Begriff – er war auch ein vielseitiger Musikant und Mitglied in zahlreichen Vereinen und rühriger Gewerkschafter – unter seiner Leitung wuchs die Mitgliederzahl von 100 auf 800 an. Zum Jubiläum bietet sich ein kleiner Streifzug durch das musikalische Wirken von Michael Unterguggenberger an.

Michael Unterguggenberger spielte mehrere Instrumente, darunter Querflöte, Klarinette, Trompete, Flügelhorn, Bassgeige und Zither. Eine Musikschule hatte er nie besucht, er erlernte das Spielen in Eigenregie. In jungen Jahren wirkte er im Unterhaltungsmusik-Ensemble „D´lustigen vier Wörgler“ mit, spielte das Flügelhorn im Bläserquartett, das in Wirtshausstuben, bei Tanzveranstaltungen und Festen auftrat.

Michael kam 1905 als Lokführer nach Wörgl und trat der 1901 gegründeten Arbeitermusikkapelle bei. Er komponierte anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Kapelle 1912 den Erinnerungsfestmarsch unter Verwendung des „Liedes der Arbeit“, das damals einer sozialdemokratischen Hymne gleichkam.  Josef Zapf hatte den Text verfasst, die Melodie des Liedes schuf Josef Johann Scheu 1867.

Aufgrund des hohen Eisenbahner-Anteils in den Reihen der Musikanten wurde die Arbeitermusikkapelle 1924 mit Eisenbahner-Uniformen eingekleidet und galt fortan als Eisenbahnermusik. Die Arbeitermusikkapelle  war die Konkurrenz der Bürgermusik – erst nach dem 2. Weltkrieg wuchsen die beiden Blaskapellen zur Wörgler Stadtmusikkapelle zusammen.

1921 gründete Michael Unterguggenberger die Arbeiter-Jugendmusikkapelle, leitete sie als Kapellmeister bis 1926 und trug wesentlich zur Ausbildung des Musiknachwuchses bei. Zu seinen Schülern am Flügelhorn zählte Gottlieb Weißbacher, der später mit seiner legendären Inntaler-Formation zum Begriff in der Tiroler Volksmusik-Szene wurde. Franz Posch hielt Unterguggenbergers Einfluss auf den Musiknachwuchs in seiner Diplomarbeit fest.

Musiziert wurde auch gern im Hause Unterguggenberger, so klang der Tag oft mit gemeinsamer Hausmusik aus. Die Musik wurde Rosa buchstäblich in die Wiege gelegt. Ihre Großeltern aus dem Tiroler Oberland traten in der „Concertgesellschaft Ploner“ bereits als fahrende Musiker auf, spielten vor Adeligen und der kaiserlichen Familie. Mit Tiroler Liedern tourten auch ihre Eltern durch Konzerthallen in Mitteleuropa, bis aufgrund der wachsenden Kinderschar das Reisen zu beschwerlich wurde und sich die Familie in Wörgl niederließ, zunächst einen kleinen Laden, einen „Bazar“,  und dann das Café Central in der heutigen Bahnhofstraße eröffnete. Rosa erlernte das Zitherspiel, brachte sich französisch und italienisch bei.  Rosas Vater Elias Schnaiter galt als visionärer Kopf – auf seinem Café prangte eine der ersten Leuchtschriften Tirols und ein Postkarten-Motiv erinnert an die damals populäre Idee, eine Straßenbahn vom Bahnhof bis auf den Hennersberg zu bauen.

Michael arrangierte vielfach Musik für Blasmusik-Ensembles, hinterließ handgeschriebene Notenhefte. Als Komponist brachte er vor allem volkstümliche Melodien für den Hausgebrauch zu Papier. Im erhaltenen Notenmaterial finden sich ansprechende Landler mit Titeln wie „D`Rosl zwickt´s“ oder „von zwölfe bis eins“. Die Familie bewahrte die Noten  wie viele andere historische Dokumente  aus dem Leben Michael Unterguggenbergers auf.  Als 1996 zur  Tagung „Vergeld´s Gott“ im Heimatmuseum Wörgl eine Sonderausstellung zum Wörgler Freigeld eröffnet wurde, erklangen seit Jahrzehnten das erste Mal wieder Zitherstücke aus der Feder Unterguggenbergers. Bartl Egger studierte die Landler ein, die Sie hier als mp3 hören können:
„Von zwölfe bis eins“ – gespielt 1996 von Bartl Egger auf der Zither:


„D´Rosl zwickt´s“ – gespielt 1996 von Bartl Egger auf der Zither:

Unterguggenbergers „Erinnerungsfestmarsch“ wurde 2006 vom damaligen Kapellmeister der Bundesmusikkapelle Bruckhäusl Harald Ploner für die heutige Besetzung der Blasmusikkapelle arrangiert und wiederholt öffentlich aufgeführt, unter anderem beim Wörgler Gastwirtefest „Über die Gassn“ – hier ein Videomitschnitt: https://youtu.be/B58rG0co_Hk

Unterguggenbergers Erinnerungsfestmarsch fand auch Eingang in die Tiroler Blasmusikforschung. 2020 veröffentlichte das Tiroler Landesarchiv die Publikation „Vom Wert des Erinnerns“, in der sich Andrea Sommerauer in ihrem Beitrag „Durch die Zeiten geblasen“ mit der Nordtiroler Blasmusikgeschichte im Hinblick auf Maifeiern beschäftigt.