Sag mir, was Liebe ist

„Die Welt ist verrückt – aber du findest in ihr Inseln glücklicher Zufälle“ – die Wendepunkte im Leben und auf der Suche nach Liebe und Anerkennung einläuten. Davon ist Ales in der skurrilen, tiefschwarzen Komödie „Schrottengel“ aus der Feder des tschechischen Autors Petr Zelenka in der Inszenierung von Gerhard Salchner für die Gaststubenbühne Wörgl überzeugt, die am 25. Oktober 2019 vor vollen Rängen das Premierenpublikum bewegte.

Plattenbau in Prag nach der Wende.  Architektonische Tristesse, die sich hinter den Fassaden fortsetzt. „Schrottengel“ thematisiert Entfremdung und Beziehungsunfähigkeit, Vereinsamung und Perspektivlosigkeit, zu deren Überwindung die Protagonisten die unterschiedlichsten Strategien entwickeln. Im Zentrum des Geschehens steht Petr, fatalistisch dargestellt von Jürgen Chmela-Heiss, der selbst vor magischen Ritualen unter Verwendung von Haaren nicht zurückschreckt, um seine Ex-Geliebte Jana (Sophia Etzelstorfer) zurück zu erobern.  Sein bester Freund Mücke, Janas Cousin, (hinreißend gespielt vom Gaststubenbühnen-Neuzugang Michael Wechselberger), scheitert ebenso in Beziehungen mit Frauen, treibt es mit Staubsauger und Waschbecken und verliebt sich schließlich in eine Schaufensterpuppe.

Keinen Halt findet Petr in seiner Familie – der Vater (Thomas Kraft) pensionierter Wochenschausprecher ohne Interesse an der Welt, die Mutter (beeindruckend dargestellt von Susanne Vikoler) mit Helfersyndrom süchtig nach Blutspenden – ihr Beitrag gegen das Elend in Tschetschenien, bis man ihr Blut nicht mehr will. Ebenso wenig wie ihre Ratschläge. Der vermeintlich demente Vater findet neuen Lebensmut bei der depressiven Bildhauerin Sylvie (Eva-Maria Bodner), die ihn als ihren Lebensretter sieht und dafür mit einer Büste belohnen will. Die Mutter verliert den Verstand, enttäuscht von der  „komischen Familie, die den Bach runtergeht, weil sie auf guten Rat gründet, nicht auf Liebe“, wie Petr feststellt.

Und da ist die eigenartige Nachbarin Alice (Kathrin Puchwald), der Sex nur Spaß macht, wenn jemand zusieht. Ihr Freund, der Alt-Dissident Jiri (Georg Feichtner), scheitert mit seinem unappetitlichen Auftritt im Gerichtssaal kläglich, nach dem Urheberrecht Geld für die von ihm komponierte Fahrstuhlmusik zu erhalten. Schließlich nimmt er das Gesetz mit Brandstiftung selbst in die Hand und stellt fest: „Ich wäre gern wahnsinnig – dann müsste ich keine Verantwortung übernehmen. Im Wahnsinn liegt die wahre Freiheit!“

Aus Liebe zu seiner  balletbegeisterten Putzfrau Anna (Birgit Hermann-Kraft) geht Mücke ins Theater, nimmt Petr zur Tanzvorstellung mit, bei der Gaststubenbühnen-Neuzugang  Anna Karabinskaya nach einer Choreographie der Wörgler Tanztrainerin Viktoria Linser ebenso wie dann als lebendig gewordene Schaufensterpuppe ihre vielseitige Ausdruckskraft zeigt. Mückes Hoffnungen auf ein Leben mit Anna erfüllen sich nicht und Enttäuschungen bleiben schließlich auch dem verliebten Ales (Christian Widauer) nicht erspart, der Jana heiraten will.

Petr Zelenka würzt seinen endzeitlichen Gefühlsreigen mit Absurdität ebenso wie mit Komik und witzigen Dialogen. Die nicht jugendfreie, schwarze Komödie (Altersempfehlung ab 16 Jahre) in der Inszenierung von Regisseur Gerhard Salchner, der auch in die Rolle von Petr´s Chef, Besitzer einer privaten Paketzustellungsfirma schlüpft, endet ergreifend mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke.  Salchner, der für sein Regie-Debüt bei der Gaststubenbühne Wörgl viel Applaus erntete, wurde bei den Probearbeiten von Regieassistentin Nadine Sophie Hafner unterstützt.

Weitere Aufführungen des „Schrottengels“, der über zwischenmenschlichen Abgründen schwebt, stehen am 2., 3., 8., 10., 15., 16., 21., 22., 29. und 30. November am Spielplan, Beginn ist jeweils um 20 Uhr außer sonntags um 18 Uhr. Gespielt wird im Astnersaal im Hotel Alte Post in Wörgl, Kartenvorverkauf bei Papier Zangerl in Wörgl und in der Rechtsanwaltskanzlei Hermann & Kraft & Dallago in Kufstein sowie online unter www.gsbw.net