Wie war das jetzt mit dem Wörgler Freigeld damals wirklich? Diese Frage bewegt nach dem Spielfilm „Das Wunder von Wörgl“ über die Grenzen Tirols hinaus. Die mediale Präsenz des mit der „Romy“ ausgezeichneten TV-Dramas, das mittlerweile in Österreich, der Schweiz und Bayern ausgestrahlt wurde, führt auch dazu, dass Menschen nach Wörgl kommen, um sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Im Mai 2019 waren Gruppen aus Augsburg, Salzburg, Innsbruck und Vorarlberg in Wörgl.
Schon bei der Ankunft am Wörgler Hauptbahnhof werden interessierte Besucher mit dem Thema Geld konfrontiert – allerdings erst einmal mit dem bestehenden zinseszins-belasteten Schuldgeldsystem: Vor dem Bahnhof beginnt und endet das Wörgler Meilenstein-Projekt, dessen Pflastersteine neben historischen Daten der Weltgeschichte auch das exponentielle Wachstum unseres heutigen Geldsystems veranschaulichen. Mit dem sogenannten „Josefs-Pfenning“. Hätte Josef für seinen Sohn Jesus bei dessen Geburt bei einer Bank einen Euro verzinst mit 3 % angelegt – welche Summe würde das nach über 2000 Jahren ausmachen? Das Ergebnis verblüfft – denn in der Realität kommen solche Summen nie zustande, da dieses Geldsystem in regelmäßigen Abständen zusammenbricht und in Krieg und Zerstörung mündet.
Folgt man den Meilensteinen, kommt man zum Unterguggenberger Denkmal gegenüber dem Wörgler Stadtamt, das seit 1976 an den Wörgler Freigeld-Bürgermeister erinnert. Historische Details zum Geldexperiment, aber auch zur Wörgler Geschichte gibt´s dann bei der Führung im Heimatmuseum. Das mit einer Kerbholz-Sammlung über eine Rarität verfügt: Die Wörgler Kerbhölzer waren über Jahrhunderte zur gemeinsamen Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen im Einsatz. Sie sind eine doppelte Buchhaltung, in der Arbeitsleistungen verwaltet wurden – und sind im Grunde eine einfache, analoge Blockchain.
Die Ausstellung im Heimatmuseum zeigt Fotos zum historischen Geldexperiment, das nach wie vor Vorbild für viele Regionalwährungen ist, sich aber in einem wesentlichen Punkt von privatwirtschaftlich getragenen Geldinitiativen unterscheidet: Das Wörgler Freigeld war vom Gemeinderat mit einstimmigem Beschluss demokratisch legitimiertes, souveränes Bürgergeld.
Freigeld – Geld frei von Zins – war eine der drei Säulen der FFF-Freiwirtschaftstheorie von Silvio Gesell. Geld, das durch die eingebaute Dynamik sich nicht losgelöst von der Realwirtschaft vermehren kann. Um die Festwährung zu garantieren, wollte Gesell ein staatliches Währungsamt, das den Geldwert auf die reale Wirtschaft eicht und damit Inflation und Deflation unterbindet. Das dritte F steht für Freiland: Im Zuge einer Bodenreform sollte der Boden der Spekulation entzogen und das Land „vergesellschaftet“ werden, indem die Kommunen ein Vorkaufsrecht bei Vererbung oder Verkauf von Grundstücken erhalten und diese dann verpachten. Über 100 Jahre alte Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme, die uns heute noch in Atem halten.
Den Boden thematisiert der Wörgler Freigarten neben dem Wohnhaus von Michael Unterguggenberger: Raubbau und Verwüstung durch petrochemische industrielle Landwirtschaft sind Teil des wachstumsgetriebenen Wirtschaftsystems, das auf globalisierter Finanzindustrie und Profitmaximierung fußt. Gesundes Bodenleben und Bodenfruchtbarkeit durch biologische Bewirtschaftung fördern, öffentlichen Raum erhalten und mit essbaren Pflanzen und Wasserstellen lebensfreundlich gestalten zählt zu den Zielen des nach Permakultur-Kriterien gestalteten Gemeinschaftsgartens, der wie eine Allmende funktioniert: Die Fläche gehört der Stadt, die die ehrenamtlichen FreigärtnerInnen auch unterstützt – und genützt werden kann die grüne Oase von allen BürgerInnen.
So zählt der Wörgler Freigarten ebenso zur Besichtigungstour wie das Unterguggenberger Institut, das sich im ehemaligen Geschäft von Rosa Unterguggenberger befindet. Der 2003 gegründete Verein widmet sich der Dokumentation, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Wörgler Freigeld sowie zu Komplementärwährungen heute, zu denen auch Blockchain und Kryptowährungen zählen.
Heimatmuseum, Freigarten, Unterguggenberger Institut – das alles sind Stationen des Wörgler Freigeld-Rundweges, der 2007 im Rahmen eines Lokalen Agenda21-Projektes in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband angelegt wurde. Der Rundweg führt zu Orten in der Stadt, die mit dem Wörgler Freigeld heute noch in Verbindung stehen – u.a. auch zur Müllnertalbrücke und zur Wörgler Sprungschanzenanlage.
Im Mai 2019 kamen Gruppen vom Forum Fließendes Geld aus Augsburg, von den Talentetauschkreisen Salzburg und Vorarlberg sowie von der Montessorischule Innsbruck nach Wörgl, um sich eingehend mit dem Wörgler Freigeld zu beschäftigen. Für Tauschkreis-Mitglieder bot das Talentenetz Tirol die Möglichkeit, das Mittagessen nicht in Euro, sondern mit der Tauschkreiswährung zu begleichen. Talentenetz-Tirol Obfrau Gaby Carl und ihr Team kochten auf und servierten in der neu umgebauten Zone Kultur.Leben.Wörgl Gemüsesuppe, Pressknödel und Kiachl, wahlweise mit Sauerkraut oder Preiselbeeren. Bezahlt wurde dann in Talent am Verrechnungsweg über die zart-Clearingkonten oder mit den für den überregionalen Austausch geschaffenen Zeitscheinen.
- Die Gruppe aus Augsburg beim Erinnerungsfoto an den Wörgl-Besuch beim Unterguggenberger-Denkmal gegenüber vom Stadtamt in der Bahnhofstraße.
- Ein Teil der Augsburger Gruppe bei der Museumsführung durch Veronika Spielbichler (3.v.l.).
- Mitglieder des Talentetauschkreises Salzburg im Unterguggenberger Institut.
- Talentenetz-Tirol Obfrau Gaby Carl (Bildmitte) und ihr Team versorgen die Talentetauschkreis-Gruppen in der Zone Kultur.Leben.Wörgl mit einem köstlichen Mittagessen.
- Das Mittagessen wurde dann nicht in Euro bezahlt, sondern mit zart-Zeitscheinen, die von Österreichs Tauschsystemen für den überregionalen Austausch eingeführt wurden.
- Ein altes Sprichwort heißt „Beim Geld endet die Freundschaft“ – beim Talentetauschkreis ist das Gegenteil der Fall: Die Tauschkreiswährung fördert das Miteinander und soziale Beziehungen.
- Akelei im Wörgler Freigarten – dieser zählt zu den Stationen des Wörgler Freigeld-Rundweges.
- Die Schülergruppe der Montessorischule Innsbruck nützte den Wörgler Freigarten für ein Picknick.
- Vorarlberg zählt im deutschsprachigen Raum zu den Tauschkreis-Pionieren, die Allmenda Social Business Genossenschaft als Träger von Tauschkreis, Regionalwährungen und weiteren Projekten zählt zu den internationalen Vorzeigeprojekten. Am 25. Mai 2019 besuchte diese Delegation aus Vorarlberg Wörgl.
- Wohlfühl-Zone zur Mittagszeit: Die Tauschkreis-Gruppen genossen den Aufenthalt in der Zone Kultur.Leben.Wörgl.
- Bei der Mittagsrast in der Zone Kultur.Leben.Wörgl wurde auch über Tauschkreis-Themen diskutiert.
- Pressknödel-Suppe als Vorspeise wurde von Mitgliedern des Talentenetz Tirol gekocht und serviert.
- …. und Kiachl mit Preiselbeeren als Nachtisch!
- Beim Mittagstisch in der Zone Kultur.Leben.Wörgl, bei dem Tiroler Talentetausch-Mitglieder für die Vorarlberger Tauschkreis-Gruppe aufkochte.
- Das Talentenetz Tirol präsentierte beim Treffen mit den Vorarlbergern in der Zone Kultur.Leben.Wörgl auch Waren zum Tauschen, wobei beim überregionalen Austausch vor allem Urlaubsangebote nachgefragt werden.
- Ausspannen, bevor die Vorarlberger Gruppe zur Wanderung am Freigeld-Rundweg aufbrach.
- Beim Unterguggenberger Institut startete der Freigeld-Rundgang, der die Gruppe u.a. zur Müllnertalbrücke und zur Sprungschanze führten.
- Applaus gab´s für die mutigen Nachwuchstalente der „Wörgler Flughunde“, die gerade beim Training waren.
- Im Sommerbetrieb werden die drei kleinen Schanzen der Sprunganlage genützt.
- Blick aufs Wörgler Sprungschanzen-Gelände: Die 1932 mit Wörgler Freigeld gebaute große Sprungschanze (Schneise im Wald rechts) wurde nach dem Umbau des Schanzengeländes nicht mehr aktiviert – sie entspricht nicht mehr dem heute geforderten Schanzenprofil.
- Die Talentetauschkreis-Mitglieder aus Vorarlberg spendierten für die Regiogeld-Vitrine im Heimatmuseum das Vorarlberger Regionalgeld VTaler.