Alois Kothgasser prägte als Bischof von Innsbruck und Erzbischof von Salzburg von 1997 bis 2013 das religiöse Leben in Tirol. Sein eigenes Leben steht im Mittelpunkt seiner gemeinsam mit dem Coautor Martin Kolozs verfassten Biografie „Mein Leben in Stationen“, das am 23. Oktober 2020 im Rahmen eines Gesprächsabends auf Einladung des Tagungshauses in der Pfarrkirche Wörgl vorgestellt wurde.
Corona-Pandemie-bedingt wurde als Veranstaltungsort die geräumige Pfarrkirche gewählt. „Willkommen im Seminarraum 6 des Tagungshauses“, begrüßte Tagungshausleiter Herwig Ortner augenzwinkernd die interessierten ZuhörerInnen, die mit entsprechendem Sicherheitsabstand im Kirchenraum verteilt Platz genommen hatten. Darunter auch die ehemalige Tagungshausleiterin Edith Bertel, die seit April ihren Ruhestand im Kreis ihrer Familie im Tiroler Oberland genießt. Ortner dankte ihr eingangs nochmals öffentlich für 16 Jahre umsichtige Leitung des Bildungshauses, Teambildung und ihr Wirken, das breite öffentliche Anerkennung gefunden hat.
Ortner führte durch den Gesprächsabend mit Alt-Erzbischof Dr. Alois Kothgasser und Co-Autor Mag. Martin Kolozs, die zu wichtigen Stationen im Leben des 1937 geborenen Geistlichen führte und auch auf aktuelle Kirchenfragen einging. Als prägend bezeichnete Kothgasser seine gute Kindheit in einfachen Verhältnissen am kleinbäuerlichen elterlichen Hof und die Begegnung Anhängern Don Boscos in seiner Jugend, die ihn zum Eintritt in den Salesianer-Orden und im Alter von 14 Jahren zur Priesterlaufbahn bewogen. Trotz schwieriger Kriegsjahre – der Vater war fünf Jahre weg – litt Alois nie Hunger. Ein Thema, das ihm heute noch angesichts des Hungers in der Welt nahe geht: „Wir haben soviel Wissenschaft, Technik, Transportmittel und Ressourcen – warum müssen immer noch Kinder Hunger leiden? Warum sind wir nicht fähig, alle Menschen zu ernähren?“ Kothgasser plädiert dafür, Abhilfe aus der „grausamen Armut zu schaffen, die weh tut und Leben kostet“.
Seine Leitlinie für die seelsorgliche Arbeit fand Kothgasser bei Don Bosco: „Das lieben, was junge Menschen lieben. Dasein, mitgehen, die Jugendlichen möglichst einbinden. Es braucht Spiel, Sport, Theater, Musik, Wandern – alles was Freude macht. Wichtig ist das gemeinsame Tun“, so Kothgasser. Ein Auftrag, der sich nicht nur an Geistliche richtet, wie Martin Kolozs ergänzt: „Es ist auch ein Auftrag an Eltern und die Familie, den Glauben zu leben, Vorbild zu sein.“ Das habe er als Vater aus den vielen Gesprächen mit dem Erzbischof mitgenommen.
„Wie soll sich die Kirche beim Thema Sterbehilfe zu Wort melden?“ fragte Herwig Ortner. Kothgassers Standpunkt: Leben sei ein Grundrecht, vom Mutterleib bis zur Vollendung und solle in allen Positionen begleitet werden – auch beim Sterben. Kothgasser unterstützte aktiv die Gründung des 1. Tiroler Hospizes. Gerade in der Schmerzstillung seien riesige medizinische Fortschritte gemacht worden. Man solle der Kirche keinen Vorwurf daraus machen, dass sie „immer für das Leben eintritt“. Auch beim Thema Schwangerschaftsabbruch – Müttern solle geholfen werden, ihre Kinder auszutragen. Wobei es nicht reiche, über das Thema Lebensschutz nur zu reden: „Wir müssen helfen und haben nicht das Recht, zu urteilen.“
Weitere Statements betrafen weltkirchliche Themen und Fragen aus dem Publikum wollten wissen, was altern für den Erzbischof bedeutet, ob Ethikunterricht für alle den Religionsunterricht ersetzen soll und ob die Pandemie die Gottesdienst-Praxis der Kirche verändern wird. „Ich bin dankbar und froh, dass ich noch lebe“, so Kothgasser, der seinen Lebensabend bei den Don Bosco-Schwestern in Baumkirchen verbringt. Er habe „keine Sorgen, keine Sitzungen und keine Probleme mehr!“ Ethikunterricht sieht er nicht als Ersatz und stellt die Frage, welche Ethik denn zugrunde liege – man müsse darauf achten, dass diese nicht mit Ideologien infiltriert werde. Die Corona-bedingte Krisenzeit könne helfen, wesentliche Fragen zu stellen – und als Gemeinschaft werde man auch weiter gemeinsam feiern, aber teilweise auch in anderer Form. Auf die Frage nach einer Kirchenspaltung antwortete Kothgasser, dass er diese Gefahr nicht sehe.
Und die wohl kniffligste Frage bewahrte sich Moderator Ortner fürs Schluss-Statement auf – die nach „dem besten Tag im Leben“. Den sieht der Alt-Erzbischof noch vor sich: „Wenn der Tag auf dieser Welt endet und der neue Tag aufgeht, die Begegnung mit Gott, mit anderen Seelen – und wie wir dann miteinander kommunizieren, darauf bin ich neugierig. Das wird ein Erlebnis sein, auf das ich mich freue, voller Licht und Liebe.“