Chaos nach Citybus-Fahrplanumstellung

Eine gemeinsame Pressekonferenz von vier Gemeinderatsfraktionen in Wörgl ist eine Seltenheit. Dazu veranlasst sahen sich am 27. September 2024 Vizebürgermeister Roland Ponholzer von „Wir für Wörgl“, Stadtrat LA Christian Kovacevic von der Liste Hedi Wechner, Grün-Gemeinderätin Iris Kahn/Leiterin des Ausschusses für Innovation, Nachhaltigkeit und öffentlichen Verkehr und FWL-Gemeinderat Christopher Lentsch. Der Anlass: Die Fahrplan-Umstellung samt Kürzung einer Citybuslinie mitsamt der folgenden Beschwerdeflut. Die Forderung: dringend zurück zu Fahrgast-freundlicheren Fahrzeiten sowie zum Taktverkehr.

„Derzeit haben wir ganz viele Brandherde in Wörgl – heute geht es um den Citybus“, erklärte Iris Kahn einleitend. Sie zeigte sich entsetzt über die Anschuldigung des Bürgermeisters, sie sei für die missglückte Fahrplan-Neugestaltung hauptverantwortlich: „Die konkrete Fahrplangestaltung war nicht meine Aufgabe.“ Der Entzug der Referentenstelle habe ganz andere Ursachen. Vor den Kopf gestoßen fühlt sich Kahn auch von der Aussage des Busunternehmens Lüftner, das den Citybusverkehr abwickelt und jetzt den 2023 verlautbarten Fahrermangel dementiert und mit „weiteren Schritten“ droht, sollte das weiterhin behauptet werden.

Schriftverkehr bestätigt Personalknappheit

„Die Firma Lüftner hat mit Schreiben vom 20. Juli 2023 Sofortmaßnahmen bis 1.9.2023 in Form einer Reduzierung der Citybus-Betriebszeiten aller fünf Linien gefordert. Mit der Begründung, damit der derzeitigen Personalknappheit entgegenzuwirken und so einen möglichen Totalausfall der einen oder anderen Linie zu verhindern“, zitiert Kahn aus dem vorgelegten Schreiben des Busunternehmens. Sollte die Stadt nicht auf die Reduzierung der Fahrzeiten eingehen, so teilt Lüftner in dem an den Bürgermeister adressierten Schreiben mit: „Alternativ können wir Dir eine einvernehmliche Beendigung der Zusammenarbeit mit 30.9.2023 vorschlagen.“ Als längerfristige Maßnahme schlägt Lüftner eine Reduktion des Angebotes von 5 auf 4 Linien vor, wobei hier besonders parallel geführte Buslinien bzw. unrentable Streckenabschnitte ins Visier genommen werden.

Zu diesem Zeitpunkt war Kahn noch Referentin für öffentlichen Verkehr: „Da war Feuer am Dach. Am 1. August 2023 hat dann ein Gespräch beim Busunternehmen stattgefunden, bei dem neuerlich auf den Personalmangel und darauf hingewiesen wurde, dass es mittlerweile viele Busfahrerinnen gäbe und durch den Fahrplan stundenlang kein Toilettenbesuch möglich sei“, berichtete Kahn. Auch bei weiteren, durch Protokolle belegten Sitzungen sei immer wieder auf die Personalsituation hingewiesen worden, im November 2023 wurde als „letzte Notmaßnahme“ sogar ein ganzseitiges Inserat zur Fahreranwerbung im Stadtmagazin geschalten – kostenlos. Am 10. November 2023 sei im Bauamt die Straffung der Linienführung beziffert worden, mit einer Einsparung von 46.000 gefahrenen Kilometern und über 3.000 Stunden Fahrzeit. Wobei die Einstellung parallel geführter Linien auch im Sinne der Nachhaltigkeit sei. Zudem habe man sich das Citybusnetz hinsichtlich der Infrastruktur angesehen. „Da gibt es erheblichen baulichen Handlungsbedarf – von 80 Haltestellen sind nur 16 überdacht. Einige Haltestellen waren nicht rechtskonform“, so Kahn, der auch von den anderen Fraktionen bestätigt wird, dass sie „ihre Hausaufgaben gemacht hat.“

Viele Beschwerden

„Es ist respektlos und feig vom Bürgermeister, sich hinter Referenten zu verstecken. Die Verantwortung liegt immer beim Bürgermeister – diese Schuldzuweisungen sind falsch“, betonte Stadtrat und Landtagsabgeordneter Christian Kovacevic in seinem Statement. Die Fahrplanänderung hätten zu einem „Aufruhr in der Bevölkerung“ geführt: „Vor allem Senioren sind betroffen, viele sind aus allen Wolken gefallen“, kritisiert Kovacevic die mangelhafte Information: „Seit Jänner 2024 ist die Umstellung geplant, sie wurde sogar verschoben, um noch Änderungen einzuarbeiten. Es war genug Zeit – aber die Ankündigung war wieder miserabel. Die Leute stehen bei den Haltestellen und der Bus kommt nicht. Beschwerden werden im Stadtamt abgewimmelt, Telefongespräche einfach aufgelegt“, ärgert sich Kovacevic und weist auf weitere betroffene Bevölkerungsgruppen wie SchülerInnen hin. „Es braucht schnellstmöglich ein Konzept und einen Plan zur Problemlösung“, so Kovacevic.

„Iris Kahn hat gute Arbeit geleistet“, pflichtet auch FWL-GR Christopher Lentsch bei, der derzeit Chaos im Citybusverkehr ortet. „Der Bürgermeister sucht einen Sündenbock. Das sind dann die Referenten. Die bemühen sich, aber sie scheitern“, lautet seine Analyse. Lentsch schlägt zudem vor, den Citybus künftig gratis für Wörgl-Card-BesitzerInnen oder generell gratis anzubieten und die Idee des Seniorentaxis nochmal aus der Schublade zu holen, nachdem derartige Modelle im Umland gut funktionieren würden.

Gratis-Öffis und E-Busse?

Die Gratis-Citybus-Forderung scheint aus Sicht des „Leistungserlöses“ aufgrund des Rechnungsabschlusses 2023 von mageren 5.381,25 Euro durchaus gerechtfertigt. Allerdings habe das Nein zur Gratisfahrt noch einen anderen Hintergrund. Kovacevic wies auf den Umstand hin, dass das Land den Citybusverkehr nicht mehr durch Zuzahlung fördert, wenn er gratis fährt. Der Citybus-Betrieb im Vorjahr kostete  laut Rechnungsabschluss 1.026.000 Euro, die Stadt musste dafür rund 800.000 Euro ausgeben. „Aus verkehrstechnischer Sicht  wäre gratis fahren für alle sinnvoll“, erklärte Kahn und wies daraufhin, dass der Citybus im Ticketverbund mit dem VVT schon jetzt kostenlos genützt werden kann. Jetzt gäbe es mit der anstehenden Neuausschreibung die Chance, darüber ebenso zu verhandeln wie über die Umstellung auf E-Busse. Aber jetzt liege im Bauamt alles auf Eis.

„Im Budget 2023 waren 1,15 Millionen Euro veranschlagt, nächstes Jahr sollen 1,2 Millionen einkalkuliert werden“, teilte Ponholzer mit und fordert eine Aufstockung, um für den Citybusverkehr künftig bessere Rahmenbedingungen zu schaffen: „Das geht mit Umschichtung. Öffis sind Teil der Daseinsvorsorge. Da braucht es keine Vertröstungen, sondern Lösungen und einen Schulterschluss aller Parteien“, so Ponholzer, der seit Jänner dieses Jahres Kahn´s Ausschuss angehört und ihre Arbeit lobt: „Bei diesem Ausschuss gibt´s die meisten Sitzungen, es wird von allen über Parteigrenzen hinweg sehr konstruktiv mitgearbeitet.“ Ihr jetzt die Schuld zuzuweisen sei fehl am Platz meint Ponholzer und sieht „das Problem beim Bürgermeister“.

Ponholzer berichtete von vielen Bürgerbeschwerden, nannte Beispiele unzumutbarer Fahrdauer: „Wer sein Kind von Söcking in den Kindergarten Mitterhoferweg bringen will, ist vier Stunden unterwegs, vom Unteren Aubachweg ins M4 braucht man eine Stunde. Dort Beschäftigte kommen abends nicht mehr heim mit dem Citybus. Betroffen sind auch Gebiete wie die Bodensiedlung und Bruckhäusl“, so Ponholzer, der rasch eine Evaluierung und ein neues Konzept fordert – mit Beibehaltung der Linie 2 und des Halbstunden-Taktes. Der Umstand, dass die Linie 4 schon bisher durch Stundentakt und Routenführung schlechter gestellt war, könne bei einer Neukonzipierung berücksichtigt werden.

Als „politisches Spielchen vor der Nationalratswahl“ wertet Kovacevic ein ÖVP-Schreiben betreffend die aufgelassene Citybus-Haltestelle in Einöden, mit dem „endlich eine Haltestellenbewilligung“ vom Land Tirol gefordert werde. Kovacevic: „Die BH teilte der Gemeinde im November 2023 mit, dass ausschließlich die Stadt für die Haltestellen zuständig ist. Wörgl-Einöden wurde aufgrund der geringen Frequenz aufgelassen.“

Überparteiliche Zusammenarbeit

Kritik an der Ausschussarbeit generell bringt Iris Kahn auf den Punkt: „Wir werden informiert, was beschlossen wurde. Aber von wem? Das ist intransparent und inakzeptabel.“  „Das Angebot zur Zusammenarbeit von Bgm. Riedhart erstreckt sich auf die Abhaltung von Sitzungen. Die finden dann aber nicht oder nur selten statt und dabei wird Fertiges präsentiert“, ergänzt Ponholzer.

„Wenn das alles kommt, was Bürgermeister Riedhart plant, braucht Wörgl die nächsten Jahre 150 Millionen Euro. Da wird von Schwimmbad und Bürgerhaus geredet, dabei haben wir weder die Nordtangente noch den Hochwasserschutz fertig“, meldet Lentsch seine Bedenken am Kurs der Stadtführung an. Und wirft angesichts der Hochwasserproblematik am Inn die Frage auf, wie sich die aktuelle Fahrbahn-Erhöhung auf der Autobahn durch die Asfinag  auswirkt: „Durch die Neuasphaltierung wird die Autobahn 50 bis 70 cm höher. Da müsste man die Rote Zone neu bewerten – außer sie ist nur ein Politikum, um zu entscheiden, wer bauen darf und wer nicht.“ „Megainvestitionen“ sieht  Ponholzer zudem im Bereich des Wörgler Wasser- und Kanalsystems auf die Stadt zukommen.

Nicht nur die Finanzerfordernisse in ferner Zukunft beschäftigen die Mandatare, auch die Erstellung des nächsten Gemeindehaushaltes: „Wörgl hat ein Budget über 50 Millionen Euro. Bis jetzt hat keine Fraktionsführersitzung dazu stattgefunden – und wir haben Ende September“, kritisieren Ponholzer, Lentsch, Kovacevic und Kahn.

„Wir wollen zusammenarbeiten, unsere Erfahrungen und Expertise konstruktiv einbringen. Wenn der Bürgermeister das nicht will und lieber seine Solitärpolitik umsetzt, soll er sich einer Neuwahl stellen und den Gemeinderat auflösen“, meint Ponholzer. Und Kahn ergänzt: „So wie es derzeit läuft, ist es unerträglich.“