Ergreifend und spannend: „Herbstrasen“

Theater, das unter die Haut geht, faszinierte am 21. März 2019 das Premieren-Publikum in der Komma Blackbox. Brigitte Einkemmer und Phillip Beck zogen mit großartigen Darsteller-Leistungen in der österreichischen Erstaufführung des Dramas „Herbstrasen“ von Eric Coble unter der einfühlsamen Regie von Irene Turin in der Theater unterLand-Produktion die Besucher in ihren Bann. Höhen und Tiefen eines ganzen Lebens, verdichtet in einem spannungsgeladenen Finale, dessen Ende bis zur letzten Minute offen bleibt.

„Ich bin eine gefährliche Frau!“ wirft die 79jährige Alexandra ihrem jüngsten Sohn Christopher an den Kopf und droht mit Feuerzeug und Molotov-Cocktail in der Hand, die eigene Wohnung lieber abzufackeln als sie zu verlassen. Chris hatte 20 Jahre lang keinen Kontakt zur Mutter und kommt durchs Fenster im 2. Stock – die Eingangstür ist verbarrikadiert. Nein – Alexandra will auf keinen Fall ins Heim, in dem sie ihre beiden anderen Kinder versorgt wissen wollen. Sie glauben, dass Alexandra dem Alltag allein nicht mehr gewachsen ist.

„Namen verlassen unseren Körper als erstes“

Alexandra fühlt sich unverstanden, ihre Freiheit und Selbstbestimmtheit bedroht. Sie bemerkt selbst, wie ihre Kräfte und Fähigkeiten schwinden, Körperfunktionen versagen, wie ihr die Welt fremd wird. Und sie will sich in ihrer eigenen Wohnung von dieser Welt auch verabschieden und setzt sich zur Wehr. „Hau ab!“ schleudert sie feindselig Chris entgegen, der nach dem Anruf seiner Schwester Jenny einen letzten Vermittlungsversuch startet: „Wir haben eine Stunde Zeit – dann kommt die Polizei!“ Denn ein New Yorker Stadthaus in Brooklyn fackelt man nicht ab.

„Dir werden die Lebensmittel ausgehen“, versucht Chris es mit logischer Argumentation und scheitert. Er bemerkt, dass seine Mutter ihre geliebten Bilder abgehängt hat, nicht mehr malt – und beginnt, nun in ihre Welt einzutauchen. Alexandra sieht das Alter als ein Spiel mit Überraschungen: „Alt werden – es nervt mich gewaltig, aber ich kann damit leben!“ Sie will allein sein, hält ihren Haushalt in Ordnung. „Besser als Studenten – und denen droht man auch nicht mit wegsperren!“

„Du verstehst meine Sehnsucht nach Freiheit“, hofft sie bei Chris auf Verständnis und überfordert ihn mit dem Wunsch, keine medizinische Hilfe oder lebensverlängernde Maßnahmen zu wollen, nicht einmal eine Heimhilfe. Und so wie Chris sich in ihr Leben vortastet, dringt auch die Mutter in ihn: Warum ging er damals weg? Warum wollte er sich das Leben nehmen? Warum kam er nun zurück? Die Fronten schwinden – und ändern sich, als sein Bruder Michael Druck machen will und mit der Polizei droht. „Wir sind bewaffnet!“ solidarisiert sich nun Chris mit seiner Mutter und fordert Alexandra auf: „Zünd an!“

Doch sie zögert. Alexandra erkennt sich in Chris wieder, erinnert sich an ihre eigenen Eltern, vor denen sie weggelaufen ist. Und wollte bei diesem Kind alles richtig machen. „Mein Wunsch hat sich erfüllt, du wurdest wie ich – und bist davongelaufen – wie ich.“ Sie erkennt zugleich, wie ihre eigene Identität schwindet: „Ich kann nur zusehen, wie letzte Stücke meiner selbst mir durch die Finger gleiten. Ich bin nicht mehr ich selbst…“ Als Chris ihr von einer Zeremonie der Navajo-Indianer rund um ein buntes Sandbild erzählt, bekennt er, dass Alexandra ihm die Liebe zur Kunst vermittelt hat: „Von dir habe ich gelernt zu sehen.“

Ob es Chris nun gelingt, seine Mutter zum Aufgeben zu bewegen, wird hier nicht verraten. Weitere Aufführungen des berührenden Stückes, das sehr zum Nachdenken anregt, finden am 22., 24., 28. und 30. März sowie am 2., 4., 7. 9. und 11. April statt, Beginn jeweils um 20 Uhr in der Komma Blackbox. Karten im Vorverkauf im Komma, bei Bücher Zangerl, beim Sozialsprengel Wörgl und Blumen Egerth in Kufstein um 15 Euro, Reservierung unter theaterunterland@gmx.at, an der Abendkasse um 18 Euro. Ermäßigung für Gruppen ab 8 Personen.

Tief beeindruckt zeigten sich nach der Premiere eine Abordnung des Hospiz-Vereines aus Kufstein und Wörgl ebenso wie Maria Steiner und Michaela Fabiankovits vom Wörgler Gesundheits- und Sozialsprengel. „Vieles davon erleben wir auch in der Realität“, waren sich die Hospiz-Mitarbeiterinnen sichtlich gerührt einig. Irene Turin begrüßte nach dem lang anhaltenden Premierenapplaus u.a. auch Vertreter des Kufsteiner Stadttheaters, der Gaststubenbühne Wörgl und der Arche Noe und bedankte sich bei allen Mitwirkenden vor und hinter den Kulissen – Michael Zangerl und Ulf Ederer fürs Bühnenbild, Stefan Schimmele und Meisam Jafari an der Technik sowie ganz besonders bei Philipp Beck, der gerade einmal gut zwei Wochen vor der Premiere kurzfristig eingesprungen ist. Philipp Beck meisterte die Herausforderung mit Bravour und konnte sich den Premierenapplaus mit der grandios alternden Brigitte Einkemmer verdient teilen.