Geschichte digital & spannend

Die Corona-Pandemie fordert unsere Gesellschaft auf vielen Ebenen und führt zu einem tiefgreifenden Wandel hin zu immer mehr digitalen Praktiken. Von zuhause aus arbeiten, einkaufen, Musik und Kultur erleben oder Museen besuchen – Smartphones und Computer sind Einstiegsportale in die weite Welt wie nie zuvor. Welches Erlebnis gut gestaltete digitale Wissensvermittlung sein kann, demonstrierte eindrucksvoll Aaron Peterer für Interessierte auf Einladung des Wörgler Heimatmuseumsvereins in der Zone Wörgl mit einer Live-Führung durch das virtuelle Hinterhaus im Anne Frank Haus in Amsterdam. Danach  zeigte er auf, welches Potential die 360 Grad-Fotografie samt entsprechend eingebauter Information für die Darstellung von Wörgler Stadtgeschichte haben kann.

Die Corona-Pandemie schränkte die Arbeit von Aaron Peterer, seit vielen Jahren Mitarbeiter des Anne Frank Hauses in Amsterdam und Koordinator des Anne Frank Vereins Österreich, zunächst erheblich ein. Workshops mit Jugendlichen und Ausstellungen wurden abgesagt. Da kam dem Wörgler die Idee zur geführten virtuellen 3D-Tour durchs Hinterhaus, in dem sich die Familie von Anne Frank  mit weiteren Verfolgten 761 Tage versteckt hielt.

Mit dem Cursor durch die Räume bewegen, dabei auf Details klicken und viele Hintergründe zum angstvollen Leben im Versteck, zur menschenverachtenden Judenverfolgung durch das Nazi-Regime und zum Schicksal der Familien erfahren, die im Hinterhaus ausharrten, nach dem Verrat in Konzentrationslager gebracht und ermordet wurden –  aber auch deren Helfer, die über Jahre für Lebensmittel, Kleidung und Dinge des täglichen Lebens sorgten. Die VR-Tour bietet die einmalige Möglichkeit, die historischen Räume möbliert zu erleben – im Museum in Amsterdam sind sie leer.  In 50 Minuten wird Geschichte lebendig, berührt und zeigt durchaus Parallelen zu heute auf. Wo werden heute Menschen diskriminiert? Zivilcourage und Hilfsbereitschaft sind zeitlos ein Thema.

Aaron Peterer ist mittlerweile als Guide der 3D-Touren durchs Anne Frank Hinterhaus weltweit gefragt. Monatlich gestaltet er fürs Goethe Institut in Sri Lanka eine online Führung durch das virtuelle Hinterhaus und begeistert mit dem interaktiven Format in Schulen in aller Welt – darunter in Indien, Pakistan, China, den USA oder Südafrika. Auch SchülerInnen am BRG Wörgl und in der Neuen Mittelschule in Wörgl erlebten bei der digitalen Tour Zeitgeschichte hautnah. Aaron spricht englisch, deutsch oder holländisch, bezieht Fragen der Schüler ein. Da sitzen 15 bis 200 Jugendliche pro Tour vor den Bildschirmen, die auf das Alter der TeilnehmerInnen inhaltlich abgestimmt wird. Interessierte Schulen können sich auf der Website erinnern.at informieren und anmelden.

„Peer education“ – Junge lernen von Jungen, diese Methode bildet den Kern von Aaron Peterers Vermittlungsarbeit fürs Anne Frank Haus, das weit mehr als ein klassisches Museum ist. 2019, das Jahr vor der Coronapandemie brachte mit 1,3 Millionen den Besucherrekord – 2020 zählte man noch knapp 400.000 Besucher. Anne Franks Tagebuch, 1947 erstmals veröffentlicht, ist heute in 72 Sprachen übersetzt, wurde verfilmt und bildet die Basis von Ausstellungen auch außerhalb Amsterdams – derzeit werden sie in 50 Ländern gezeigt, dabei von Jugendlichen selbst aufgestellt und begleitet. Die Anleitung liefern Video-Workshops, bei denen die Jugendlichen zu Ausstellungs-Guides ausgebildet werden und Themen wie Diskriminierung in ihrem Alltag besprechen.

Welche Möglichkeiten die 360 Grad-Fotografie mit digitaler Einarbeitung von historischen Fakten und Hintergrundinformationen auch für Wörgl bietet, demonstrierte Aaron Peterer anhand des Wörgler Kriegerdenkmals im Kirchhof. Im Zuge der Neugestaltung des Heimatmuseums eröffnet die digitale Technik viele Chancen, Stadtgeschichte spannend und modern zu vermitteln – ob als geschichtlicher Themenweg oder Online-Museumsrundgang.